Museum Kalkar In den Sommerferien Modell für Teuber

Kalkar · Die Ausstellung „Karl Hofer – Hermann Teuber“ begeistert in Kalkar und erzählt viele Geschichten. Jetzt besuchte Annemai Schneller die Ausstellung. Sie ist das „Mädchen mit Puppe“ auf einem der Gemälde von Hermann Teuber.

 Herman Teubers „Mädchen mit Puppe“ in Kalkar.

Herman Teubers „Mädchen mit Puppe“ in Kalkar.

Foto: Matthias Grass

Konzentriert sitzt das Mädchen auf dem Stuhl. Den Rücken gerade, der Blick geht irgendwo nach links in die Ferne.  Die Haare sind hoch gesteckt und werden von einer dicken, weißen Schleife gehalten, das Kind trägt ein feines blaues Kleid mit einem bunten Blümchenmuster. Die feinen Gesichtszüge leuchten im weichen Sommerlicht, das durch das Fenster herein scheint, der knallrote Mund setzt ein farbiges Ausrufezeichen ins Gemälde. Die Augen sind wach, auch wenn die Gedanken weit weg zu sein scheinen. Die Lehne des Bugholzstuhles ist nur angedeutet, der Hintergrund nimmt blaugrau den Grundton des Kleidchens auf. Auf dem Arm hält das Mädchen eine Puppe, die pausbäckig dem Betrachter direkt ins Gesicht  schaut. Die Haare der Puppe sind gescheitelt und zu zwei mit roten Schleifchen gehaltenen Zöpfen gekämmt, das Kleid ist rosa mit einem weißen Krägelchen.

Man schreibt das Jahr 1952, das Land erholt sich langsam vom Krieg, es sind Sommerferien. Es ist eine Zeit,  als Kinder noch lange still und konzentriert auf Stühle sitzen konnten, Gedanken verloren wie die kleine Annemai in Kalkar auf dem elterlichen Hof. „Onkel Teuber“  hatte die damals achtjährige Tochter des Landwirts gefragt, ob er sie malen dürfe. Und so musste das Kind eine Woche lang, immer von 9 bis 11 Uhr, auf den Stuhl und still sitzen – unter dem Gekicher der Geschwister und der anderen Kinder, die draußen tollen durften.

Der „Onkel“ war kein anderer als der Maler Herman Teuber, der gerade in Berlin an der Kunstakademie Professor für Druckgrafik geworden war und der für den Sommer in sein geliebtes Kalkar, das er aus der Zeit der inneren Emigration so gut kannte, gekommen war. Für die Stille des Niederrheins, die er so liebte, und zum Arbeiten: So entstand das Porträt von Annemai, das auf dem Hof bleiben sollte.

 Annemai Schneller mit ihrer Puppe.

Annemai Schneller mit ihrer Puppe.

Foto: Freunde Kalkars

„Zuerst fand ich das Bild schrecklich. Später habe ich es lieben gelrent, heute fehlt es mir sehr, wenn es zu einer Ausstellung, wie jetzt in Kalkar, ausgeliehen ist“, sagt Annemai Schneller, geborene Otten. Sie ist das Mädchen mit Puppe und durfte damals Porträt sitzen. Damals hielt sich ihre Begeisterung in Grenzen – denn es waren doch Sommerferien. „Ich musste immer nach links gucken, auf einen Nagel, der da in der Wand steckte“, sagt sie. Als Annemai am ersten Tag auf die Leinwand gucken durfte, war da noch nicht viel zu sehen. Und Onkel Teuber, den sie schon lange kannte und dessen Tochter Cordula, die in den kommenden Tagen auch Kalkar besuchen will,  irgendwie zur Familie gehörte, wenn Teuber auf dem Ortschen Hof war.

Dort ging nicht nur der Maler ein und aus – auch sein Freund Werner Haftmann, der spätere Direktor der Nationalgalerie in Berlin. Haftmann gehört zu den bedeutenden  Kunsthistorikern der jungen Bundesrepublik und war Mitorganistor der drei ersten Documenta-Ausstellungen in Kassel. Den lernte Annemai auch kennen - nur anders. „Haftmann ging mit uns spazieren“, erinnert sich Annemai Schneller heute. Sie saß dabei auf der Schulter, es ging quer durch die Felder in Richtung Rhein.

Teuber jedenfalls war nach den ersten Sitzungen unzufrieden mit dem Bild. Dann sah er die Puppe und fand schließlich zu der schlüssigen Komposition, mit der „Mädchen mit Puppe“ heute so überzeugt. „Er setzte mir die Puppe in den Arm und war zufrieden“, erinnert sie sich. Die Puppe war gerade zufällig im Raum. Zumal sie kein Mädchen gewesen sei, das so gerne mit Puppen spielte, sagt sie.

Die Puppe hatte der Großvater aus dem Ersten Weltkrieg für ihre Mutter mitgebracht. Im Zweiten Weltkrieg geriet die Puppe zwischen die Fronten. „Eigentlich war nur noch der Kopf ganz, als wir von Bedburg zurück auf den Hof kamen – aber meine Mutter reparierte sie, stopfte die Glieder, nähte ihr die schönen neuen Kleider“, sagt Schneller. Sie erinnert sich auch an ihr Kleid mit dem schönen Blümchenmuster und an den „Propeller“, den sie immer tragen musste, weil sie vergleichsweise dünne Haare hatte – jene große weiße Schleife auf ihrem Kopf.

Als sie jetzt nach Kalkar fuhr, um ihr Bild zu besuchen und bei einer Führung von Teuber zu erzählen, sollte die Puppe natürlich dabei sein. „Ich habe ihr auch das Kleid angezogen, das sie auf dem Bild trägt“, sagt Annemai Schneller. Und schon, als sie aus dem Auto stiegt, wurde sie von Museumsbesuchern sofort erkannt, die Puppe, die aus dem Bild den Betrachter anschaut während das Mädchen  so gedankenverloren nach links blickt.

Das Bild blieb auf dem Hof und kam vor 25 Jahren nach Rheydt, wo Schneller heute wohnt. Sie war von Kalkar zum Studium nach Bonn gegangen, lebte eine Zeit in Aschaffenburg und kehrte wieder nach Mönchengladbach zurück.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort