Die Studierenden-Kolumne Uni zum Anfassen

Kevelaer · Unsere Autorin Jana Rogmann überlegt, ihren Master zu machen, um noch etwas von der Zeit zurückzubekommen, die ihr die Corona-Pandemie gestohlen hat.

 Jana Rogmann hat während der vergangenen Monate völlig vergessen, wie das Studierenden-Leben eigentlich funktioniert.

Jana Rogmann hat während der vergangenen Monate völlig vergessen, wie das Studierenden-Leben eigentlich funktioniert.

Foto: Jana Rogmann

Die Dozentin versucht, ihr Powerpoint an die Wand zu werfen, während um mich herum 20 mit Masken bedeckte Gesichter gelangweilt nach vorne gucken. Es ist viel zu warm in dem stickigen Hörsaal, und meine Beine passen nur grade so unter den hölzernen Klapptisch. War der schon immer so unbequem? Und wo sind eigentlich alle Menschen hin, die mit mir angefangen haben zu studieren? Ich schaue mich vorsichtig um – aber außer meiner besten Uni-Freundin aus dem ersten Semester, die neben mir sitzt und Airbnbs sucht, kenne ich niemanden.

Bestimmt sind alle verloren gegangen hinter den schwarzen Kacheln der letzten zwei Jahre. Oder sie sitzen im falschen Hörsaal – so wie ich vor zwei Wochen. Es hat eine ganze Stunde gedauert, bis ich festgestellt habe, dass „Sprache der Maya“ nicht „Nachhaltige Perspektiven aus Lateinamerika“ ist und mein Seminar eigentlich auf Spanisch sein sollte. Leise musste ich mir eingestehen, dass ich völlig vergessen habe, wie „Uni zum Anfassen“ funktioniert. Auch einige Seminare später bin ich permanent überfordert, pünktlich zu sein. Oder mit Menschen reden zu müssen, die sich eine Reihe hinter mich gesetzt haben. Außerdem wächst auf meinem Zimmerboden ein Kleiderberg, den ich normalerweise während der Vorlesung waschen würde.

Das Gemurmel zwischen den Sitzreihen wird leiser – die Dozentin hat ihr Powerpoint repariert und entschuldigt sich vielmals für die Verspätung. Ich verdrehe genervt die Augen. Normalerweise hätte ich schon drei Mal den Laptop ausgeschaltet und Mittagessen gekocht. Oder meine Fenster geputzt. Durch die hohen Hörsaalfenster scheint die Sonne, und draußen versammeln sich Studierende auf dem Rasen, um ihre Texte gemeinsam zu lesen. Ich werde von links angetippt: „Gehen wir gleich noch Mittagessen?“

Wie so oft die letzten Wochen, überkommt mich Wehmut: „So fühlt sich studieren also eigentlich an?“ Ich werde wütend. Die Pandemie hat mir nicht nur geklaut, dass ich auf dem Weg zum Hörsaal vier Menschen treffe, die ich kenne. Corona hat auch verhindert, dass ich nachts um fünf betrunken aus dem Club komme. Oder dass ich mich manchmal sogar an der Diskussion zur Kurslektüre beteilige, die ich wirklich gelesen habe. Vielleicht mache ich doch noch einen Master, um die Zeit wiederzubekommen?

Jana Rogmann, 21 Jahre alt, kommt aus Kevelaer und studiert im fünften Semester Komparatistik und englische Literatur in Bonn. An dieser Stelle berichtet sie alle paar Wochen von ihrem Leben als Studentin. Foto: Rogmann

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