Erfolgreiches Geschfätsmodell in Kamp-Lintfort Selbst „ackern“ liegt dank Corona im Trend

Kamp-Lintfort · Bei den „Ackerhelden“ in Hoerstgen können Interessenten eine 40 Quadratmeter große Parzelle mieten und darauf Gemüse anbauen. Die eigene Ernte hat für viele derzeit einen besonders hohen Stellenwert, sagen die Betreiber.

 Hier kann bald geerntet werden: Tobias Paulert auf einer „Ackerhelden“-Parzelle.

Hier kann bald geerntet werden: Tobias Paulert auf einer „Ackerhelden“-Parzelle.

Foto: Norbert Prümen

Gut 60 Ackerhelden fahren regelmäßig von Hoerstgen aus ihre Gemüseernte nach Hause. Ihre Parzellen mit rund 40 Quadratmetern Gartenglück liegen auf der biozertifizierten Ackerfläche des Frohnenhofes von Familie Bird, die Birger Brock und Tobias Paulert für das Projekt Mietgarten gepachtet haben. Die vorbereitete Parzelle wird mit rund 150 verschiedenen Bio-Gemüse-Jungpflanzen aus eigenem Saatgut im Frühjahr bestückt. Eine Restfläche ist frei für eigene Aussaaten. Die Mieter der Gemüsegärten kümmern sich um das Wachsen und Gedeihen.

„In Corona-Zeiten hat dieses Fleckchen Erde noch eine andere Bedeutung bekommen“, hat Tobias Paulert beobachtet. Die Saison startete wetterbedingt verspätet nach den Eisheiligen, als auch das Corona-Geschehen in vollem Gange war. „Unsere Ackerhelden im Home-Office und in Zeiten mit Kontaktverboten haben in ihren Parzellen den Pflanzen tatsächlich beim Wachsen zugesehen, entspannt, ihren Stress vergessen und mit Anstand ein neues Alltagslebensgefühl entdeckt. Der Freizeitcharakter hat sich deutlich verändert“, so der 45-Jährige. Schon das Schlange-Stehen im Supermarkt entfiel. „Die Leute haben mehr Zeit auf das gemeinsame Kochen verwendet und sich mehr um das Thema gesunde Ernährung gekümmert.“

Die Ackerhelden bauen im fünften Jahr saisonales wie regionales Gemüse und essbare Blüten in Hoerstgen an. Dazu gibt es regelmäßig per Mail passende heldenhafte Rezepte, die sich aktuell um Rote Bete, Kürbis oder Grünkohl drehen. Verschickt wird eine Todo-Liste mit anfallenden Arbeiten, so dass dem kleinen Stückchen Garten eine Gelinggarantie mitgegeben wird. Die fachliche Begleitung reicht bis zum Tellerrand.

Das Geheimnis des Erfolgs auf dem Feld, so Paulert, sei die pflanzliche Feinabstimmung, die den Aufwand so gering wie möglich macht. Birger Brock und Tobias Paulert werden von Interessierten oft mit dem Zeitargument konfrontiert. Der Aufwand mit Harke, Karre und Gießkanne sei doch hoch, so erste Vermutungen. Von wegen. „Nach unserer letzten Umfrage verbringt ein Ackerheld im Schnitt etwas mehr als zwei Stunden mit Gärtnern in der Woche auf seiner Parzelle. Rechnet man die Zeit hoch, die man sonst mit dem Einkauf verbringt, ist das wirklich wenig“, so Paulert.

Selbst geerntetes Biogemüse ist nicht zu übertreffen. Wird noch nach dem Ernten etwas gebraucht, kaufen die Ackerhelden bei Familie Bird im Hofladen ein. „Eine Win-Win-Situation und eine nachhaltige wie bewusste Kaufentscheidung. Im Schnitt werden 84 Kilo pro Kopf an nicht gebrauchten Lebensmitteln von deutschen Haushalten entsorgt“, so Paulert.

Das Gartenprojekt genießt hohe Kundenzufriedenheit. Auch können die Mieter über den Anbau mitbestimmen. 2019 galten gelbe Bete als Favorit. „Aufgrund der vermehrten Nachfragen haben wir teilweise Flächen erweitert. Wenige Ackerhelden hören auf, höchstens, weil ein beruflicher Standortwechsel ansteht, oder aber die Gesundheit nicht mitspielt“, erzählt Paulert.

Von Hamburg bis München ackern auf Bioland- oder Demeterflächen Ackerhelden an 20 Standorten. Der jüngste ist 18, der älteste Ackerheld 84 Jahre. Speziell für die ältere Zielgruppe oder auch Kitas und Schulen bieten Paulert und Brock ab Frühjahr wieder biozertifizierte vorbepflanzte Gemüsehochbeete an. Sie sind seit Schulzeiten Fans von Schulgärten. „Die verschwanden. Aber im Laufe der Zeit fragten sich die Verbraucher immer mehr, wo ihr Obst und Gemüse herkommt.“ Mit der Idee, Bio-Gemüse zur Selbstversorgung anzubauen, treffen sie den Nerv der Zeit. Sie gehen mittlerweile in Unternehmen. Krankenkassen setzen auf betriebliche Gesundheitsförderung, bei der es um gesunde Ernährung geht.

Die Vernetzung der Ackerhelden mit ihren Arbeitskollegen ist Nebenprodukt, so dass das Thema gesunde Ernährung mit regionalen wie saisonalen Gemüsesorten einen völlig neuen Aspekt bekommt: Die eigene Ernte wird im Büro kollegial geteilt. Paulert: „Das führt zu einer Ernährungsumstellung, die Gesundheit profitiert. Wir wollen saisonale Vielfalt und höchste Lebensmittelqualität demonstrieren.“

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