Irritationen in Hilden Ärger um Andenken an Leo Meyer

Hilden · Der Hildener hat im Ersten Weltkrieg in Belgien Hunderten Flüchtlingen geholfen und sie aus eigener Tasche mit Nahrung versorgt. Er soll einen Gedenkstele erhalten – doch nun hat die Stadt einen Stolperstein ins Gespräch gebracht.

Das Buch über Leo Meyer ist im Droste-Verlag erschienen.

Das Buch über Leo Meyer ist im Droste-Verlag erschienen.

Foto: Christoph Schmidt

Therese Neuhaus ist sauer: „Ich finde es beschämend, dass man nun glaubt, das Thema ,Stele zur Ehrung von Leo Meyer‘ durch Verlegung eines Stolpersteines erledigen zu können“, erklärt die Hildenerin. Sie kämpft seit Jahren dafür, dass Leo Meyers Geschichte in seiner Heimatstadt nicht in Vergessenheit gerät. Und eigentlich war auch schon alles klar: An Leo Meyer sollte eine Stele erinnern, sie sollte im Bereich der Reformationskirche aufgestellt werden, das Presbyterium hatte bereits grünes Licht gegeben – der Künstler hat sogar bereits einen Entwurf der Stele vorgestellt. Doch nun bringt die Verwaltung einen neuen Vorschlag ins Spiel: die Verlegung eines Stolpersteins. Das soll an diesem Freitag, 25. November, ab 17 Uhr im Kultur- und Heimatausschuss, Heinrich-Strangmeier-Saal, Altes Helmholtz, Gerresheimer Straße 20, diskutiert werden.

Leo Meyer (1891-1953) stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie (Vieh- und Futtermittelhandel) in Hilden. Vier Jahre lang kämpft er im Ersten Weltkrieg als Soldat für Deutschland. 1917 wird er Ortskommandant in Oost-Malle, einer Kleinstadt im besetzten Belgien. Dort leiden Hunderte von französischen Flüchtlingen aus Lille große Not. Meyer hilft: Mehrfach lässt er heimlich Lebensmittel in ein Kloster schaffen, das die Spenden verteilt. Mehr noch: Er bittet seinen Vater um Geld. Dieser schickt ihm 5000 Goldmark, damals ein Vermögen. Er gibt das Geld der Oberin und bittet sie, damit die Flüchtlinge zu versorgen. Die Nonnen nennen ihn „le bon boche“, „der gute Deutsche“. In der Pogromnacht am 9. November 1938 werden Leo Meyer und seine Familie Opfer des Nazi-Mobs. Leo wird schwer verletzt, sein Vater Nathan stirbt einige Tage später an den Misshandlungen. Anstifter der Mörderbande ist der NS-Ortsgruppenleiter Heinrich Thiele – ein Nachbar. Leo Meyer flieht 1939 nach Belgien und bittet völlig mittellos im Kloster von Oost-Malle um Hilfe. Die Oberin erkennt „le bon boche“ – und hilft. Als die Wehrmacht Belgien überfällt, wird Leo Meyer interniert. Ohne die Lebensmittelpakete von Oberin Beatrix wäre er dort verhungert. 1941 erhält Meyer „Erholungs-Urlaub“. Er kann sich bis Ende des Krieges verstecken. 1949 kehrt Meyer nach Hilden zurück, kämpft um Wiedergutmachung. Nazi-Nachbar Thiele hatte sich die fünf Häuser der Meyers samt dem dazu gehörigen Land unter den Nagel gerissen. Gerichte sprechen Thiele frei. Leo Meyer findet keine Gerechtigkeit und stirbt – krank und zermürbt – 1953 mit 58 Jahren.

Die Hildenerin Therese Neuhaus ist beeindruckt von der „beispiellosen Tat während des Ersten Weltkrieges, als er in Malle Hunderte Menschenleben rettete“. Sie stellte einen Bürgerantrag, der Rat stimmte vor knapp drei Jahre zu. Und seitdem hat sich eine Menge getan, die Stele müsste nun eigentlich nur noch angefertigt und aufgestellt werden. „Inzwischen gab es jedoch eine Änderung der Vorgaben zur Verlegung von Stolpersteinen. Nach den letzten Planungen des Arbeitskreises soll Leo Meyer nun doch, genau wie seine Eltern, mit einem Stolperstein gedacht werden“, erklärt die Stadt nun. Und „aufgrund dieser geänderten Erkenntnisse bittet die Verwaltung um Entscheidung, ob die Errichtung einer Stele weiter betrieben werden soll oder ob dem Rat der Stadt Hilden der Vorschlag zur Abänderung seines ursprünglichen Ratsbeschlusses unterbreitet werden soll.“

Therese Neuhaus ist erbost, dass die bereits gefällten politischen Entscheidungen durch diesen Tagesordnungspunkt noch einmal zur Diskussion gestellt werden, und appelliert in einer E-Mail an die Ausschussmitglieder: „Ich darf Sie herzlich bitten, in dieser Ausschusssitzung weiterhin dafür zu sorgen, dass Leo Meyers beispielhaftes Verhalten seine Würdigung durch Errichtung der Stele erfährt und der diesbezüglich Beschluss des Rates der Stadt Hilden vom 23. September 2020 umgesetzt wird.“

Es könne nicht sein, dass man nun, nachdem sich die Möglichkeit ergibt, für Leo Meyer einen Stolperstein zu verlegen, das vorbildhafte Verhalten des Leo Meyer nicht mehr für ehrenwert erachten möchte. „Leo Meyers Handeln im Ersten Weltkrieg war vorbildhaft für uns alle“, schreibt Therese Neuhaus.

In derselben Sitzung am Freitag diskutieren die Ausschussmitglieder noch ein weiteres Mal über Leo Meyer – nur einen Tagesordnungspunkt weiter soll über den Antrag der Bürgeraktion gesprochen werden, die 5000 Euro für die Stele bereitstellen möchte. „Um die Realisierung zu beschleunigen“, wie es heißt.

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