Interview mit Alexandra von der Weth “Vieles, was heute geschrieben wird, ist gequirlte Akustik“

Interview | Duisburg · Eine dreiteilige Konzert- und Performance-Reihe von und mit Alexandra von der Weth in den Städten Duisburg, Düsseldorf und Wuppertal. Im Interview verrät sie, wie sie Neue Musik für ein breiteres Publikum erfahrbar machen möchte.

 Alexandra von der Weth

Alexandra von der Weth

Foto: Samuel F. Johanns

Sie ist eine außergewöhnliche Künstlerin, die international erfolgreiche Sopranistin Alexandra von der Weth. Zahlreiche Gastspiele führten sie im Laufe ihrer äußerst erfolgreichen Laufbahn an internationale Bühnen, darunter die Metropolitan Opera in New York, die Lyric Opera of Chicago, das Royal Opera House in London sowie die renommierte Glyndebourne Festival Opera in Sussex. Viele Jahre war sie zudem Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg. 2003, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, versagte plötzlich ihre Stimme. Wiedererlangt hat sie diese in der Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Logopädin Cordula Helfert und durch Eigenstudien der Humanbiologie im Dialog mit dem Neurobiologen Dr. Karl Kafitz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Doch nicht erst seit dieser Heilungsphase beschäftigt sich Alexandra von der Weth intensiv mit Stimmbildung, sie gründete zudem ihr eigenes Institut für Stimmbildung und Sprechtraining.

Ein großes Anliegen ist ihr der interdisziplinäre Dialog zwischen Wissenschaft und Musik: So veranstaltet sie seit geraumer Zeit bemerkenswerte Gesprächskonzerte zu Themen wie „Musik und Psyche“ oder „Die großen Frauen der Oper“. Mit einem Themenabend zu „Kunst und Politik“ unter dem Titel „An die Menschlichkeit“ startet sie nun am 30. Oktober in der Duisburger Kulturkirche Liebfrauen zusammen mit Roland Techet (Musikalische Leitung) und Frank Schablewski (Inszenierung) die dreiteilige Konzert- und Performance-Reihe „Wir brauchen Kunst“. Wissenschaftlich begleitet wird die Veranstaltungsreihe durch theater- und musikpraxisnahe Seminare der Universität Bonn unter Mitwirkung von Wissenschaftlern und Künstlern und Einbeziehung von Studierenden unter Anleitung von Künstlern. Über das Projekt sprach mit Alexandra von der Weth unser Autor Olaf Reifegerste.

Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Projekt und spielte Corona dabei eine Rolle?

Es ist mir ein Herzensanliegen zu zeigen, dass Kunst von größter Relevanz für unsere Gesellschaft ist. Das wurde noch kürzlich im Zusammenhang mit Corona von Seiten der Politik in Frage gestellt. Gerade in unserer heutigen Zeit hilft Kunst und die Auseinandersetzung mit derselben dem Einzelnen, seinen eigenen Abgründen ins Auge zu sehen und damit auch über das Menschsein an sich nachzudenken. Durch Reflektion sind Menschen in der Lage, komplexe Problemstellungen zu lösen. Umso nötiger brauchen wir in der Zeit von Corona, welche uns sehr viel abverlangt, das Medium Kunst, um uns überhaupt als Individuen in der Welt verorten zu können.

Ich bin ein neugieriger Mensch und stelle viele philosophische Fragen. Deshalb habe ich mir Gedanken gemacht, was Kunst eigentlich bedeutet. Meines Erachtens berührt Kunst mehrere Aspekte. Für mich beinhaltet sie immer eine politische Aussage, auch wenn sie in ihrem eigentlichen Kern gar nicht politisch sein kann, weil großer Kunst immer eine gewisse Abstraktion innewohnt.

Ein weiterer Aspekt stellt der Eros dar, der untrennbar mit der Kunst verwoben ist. Das Kreative, das Gebärende, das Ja zum Leben: Eros im weitesten Sinne von Lebensspendendem. Als Drittes ist mit der Kunst unmittelbar verknüpft die Transzendenz in abstrakte geistige Räume. Das Wesentliche, Essentielle, das, was man nicht mehr in Worte ausdrücken kann, weil es jenseits aller sprachlichen Semantik alles sagt. Bei unserer Reihe geht es nicht darum, Fragen zu beantworten, sondern darum, neue aufzuwerfen.

Weshalb sind es gerade die von Ihnen genannten Mitstreiter und Partner geworden und warum ist im Beethovenjahr nicht auch die in Bonn ansässige Beethoven Jubiläumsgesellschaft (BTHVN 2020) mit von der Partie?

Roland Techet ist ein großartiger Musiker und kluger Kopf und daher mein musikalischer und künstlerischer Mitstreiter und der konzeptionelle Inspirator unserer Reihe. An der Uni Bonn reflektieren er und ich gemeinsam als Lehrbeauftragte über dieses Thema in Seminaren und Gesprächskonzertformaten. Mit dem Literaturwissenschaftler Dr. Stefan Plasa haben wir einen inspirierenden Gesprächspartner an unserer Seite, der uns bei unseren universitären Formaten tatkräftig unterstützt.

Die Cragg Foundation in Wuppertal hat selbst eine interessante Musikreihe ins Leben gerufen, welche den Namen “Tonleiter” trägt. Diese widmet sich vor allem der Zeitgenössischen Musik. Ich bin sehr glücklich über die Zusammenarbeit mit der Cragg Foundation, zumal mir scheint, dass die Skulpturen von Tony Cragg etwas Fließendes haben, ganz wie die Musikstücke, welche wir dort zum Thema “Kunst und Transzendenz” aufführen möchten.

Die Joseph-Woelfl-Gesellschaft Bonn und der Richard Wagner Verband Bonn/Siegburg sind strukturell an die Uni Bonn angeschlossen. Dort sind wir seit Jahren mit Musik- und anderen Geisteswissenschaftlern im Gespräch und diskutieren über kunst- und musikästhetische Ansätze. Außerdem unterstützen uns die beiden Vereine bei der Organisation und Werbung unseres Projektes, ebenso der Verein Gargonza-Arts.

Der Komponist und Performance-Künstler Gerhard Stäbler ist ein enger Freund von Roland Techet und mir; wir durften schon einige seiner Werke zur Uraufführung bringen. Sein Werk “Strafkolonie” nach Franz Kafka wird ein wichtiger Teil unseres Abends in Duisburg sein.

Da wir mit unserem szenischen Konzert den Begriff Kunst behandeln, wollten wir uns nicht auf Beethoven als Hauptbezugspunkt fokussieren, sondern auch andere bedeutende Komponisten zu Wort kommen lassen. Aus eben diesen konzeptionellen Gründen sind wir bewusst nicht an die BTHVN 2020 herangetreten.

Durch wen finanziert sich das Projekt?

Zum großem Teil finanziert das NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft das Projekt. Einen kleineren Teil übernehmen das Kulturamt Düsseldorf sowie das Kulturbüro Duisburg. Die Universität Bonn hilft uns ebenfalls in den Bereichen Organisation und Werbung. Des Weiteren wird unser Projekt durch die Kooperation mit der Cragg Foundation unterstützt.

Musik und Sprache, bildendende Kunst und Theater, aber auch die Wissenschaft spielen bedeutende Rollen bei diesem Projekt. Doch was ist mit Tanz, als einer ganz besonderen Ausdrucksform von Kunst?

Tatsächlich hatten wir darüber nachgedacht, den Tanz in unsere Performance-Abende als elementaren Bestandteil zu integrieren, haben dann aber davon Abstand genommen, weil das Medium “gesprochenes und gesungenes Wort” die Kernaussage des Abends transportieren soll. Das Medium “Tanz” hätte in dieser Konstellation nichts zur szenischen Verdichtung beitragen können. Deshalb fügen wir das Element “Tanz” ausschließlich in Form von Lichtkunst durch den Wuppertaler Maler und Lichtkünstler Gregor Eisenmann hinzu.

Als Mitwirkenden haben Sie unter anderen den Schauspieler Jürgen Hartmann gewinnen können. Welche Texte wird er sprechen beziehungsweise darbieten und wer hat die Auswahl vorgenommen?

Der Schauspieler Jürgen Hartmann wird zum einen den finsteren Monolog des Franz Moor aus Friedrich Schillers "Die Räuber" vortragen und zum anderen den sinistren Hagen aus Richard Wagners „Götterdämmerung“ verkörpern. Des Weiteren wird er das Gedicht von Walt Whitman “Verwebe mein hartes Leben” in der Übersetzung des Schriftstellers Frank Schablewski rezitieren. Schablewski zeichnet für die Inszenierung verantwortlich und hat dementsprechend die Texte ausgewählt.

Während die beiden ersten Spielstätten mit der Duisburger Kulturkirche Liebfrauen und dem Palais Wittgenstein in Düsseldorf sogenannte „Indoororte“ sind, findet die dritte und letzte Veranstaltung am 23. Januar 2021 im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal statt. Heißt das zugleich auch draußen?

Das Konzert in Wuppertal ist in einer der gläsernen Ausstellungshallen angedacht. Zu Beginn soll allerdings im Freien, bevor das Publikum die Halle betritt, das Stück von Alvin Lucier “Music on a long thin wire” als Installation wirken: Eine Klaviersaite soll nämlich über zwei Stege gespannt an einen Sinustongenerator angeschlossen werden.

Eine letzte Frage zur Perspektive: "Wir planen langfristig ein Vernetzungs- und Vermittlungsprojekt zur Neuen Musik und zur musikalischen Avantgarde des 20. und 21.Jahrhunderts", kündigen Sie an. Was heißt das genau?

Für die Zukunft planen wir Festivals, Performance-Abende und Gesprächskonzerte, um Neue und Zeitgenössische Musik einem breiteren Publikum zu erschließen. Wir leben im 21. Jahrhundert – soll heißen: Durch technische Errungenschaften verändert sich nicht nur unsere akustische Umgebung, sondern auch unser Innenleben. Und eben diese Veränderungen verlangen neue ästhetische Ausdrucksformen.

Neue Musik spiegelt die Verortung des Menschen im 21. Jahrhundert wider. Das Publikum soll begreifen, dass ein Konzert mit Neuer Musik oder ein Theaterabend von zeitgenössischer Oper kein Bespaßungsprogramm ist, sondern geistige Arbeit voraussetzt, und zwar sowohl für die Künstler als auch die Zuschauer. Deshalb ist es wichtig, diese Formate zu etablieren und in Zukunft sogar noch größere zu entwickeln, um jene Musik populärer zu machen.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Vieles, was heutzutage an Neuer Musik geschrieben wird, ist meines Erachtens gequirlte Akustik. Aber es gibt auch Sternstunden! Großartige Komponisten können nämlich unsere Hörgewohnheiten aufbrechen und uns beflügeln. Dabei können sich ganz neue klangliche Universen auftun. Mit derartig neuen Ohren hört man Beethoven plötzlich ganz anders.

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