SOS-Kinderdorf in Düsseldorf Vom Flüchtling zum Polizisten

Düsseldorf · 2015 kamen Ramin Majidi und weitere 15 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die Obhut des SOS-Kinderdorfs. Fast alle haben eine Ausbildung oder einen Schulabschluss gemacht. Majidi wird sogar Polizist.

 Nicole Cremer von SOS freut sich, dass Ramin Majidi, der vor sieben Jahren nach Deutschland kam, jetzt bei der Polizeischule anfängt.

Nicole Cremer von SOS freut sich, dass Ramin Majidi, der vor sieben Jahren nach Deutschland kam, jetzt bei der Polizeischule anfängt.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Es war im Oktober 2015, da rief der damalige Jugendamtsleiter Johannes Horn Herbert Stauber, Chef vom SOS-Kinderdorf in Düsseldorf, an und fragte, ob dieser helfen könne. 16 unbegleitet geflüchtete Jugendliche müssten untergebracht werden, für die bräuchte er eine Unterbringungsmöglichkeit.

Stauber hatte sofort eine Idee: Die kleine Turnhalle des SOS-Jugendtreffs an der Frankfurter Straße sollte für die Jugendlichen hergerichtet werden. Weiteren Platz gab es in Gerresheim. Dann kamen auch schon acht afghanische Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren und belegten sogleich die Schlafplätze, während der reguläre Betrieb der Einrichtung weiterlief. Zwei von ihnen sind Ramin Majidi (heute 20) und Sheerati Hamidi (22). Beide kommen aus Afghanistan.

Hamidi möchte über seine Flucht nicht reden und aufs Foto möchte er auch nicht. Nur so viel erzählt er: „Meine Familie wurde verfolgt.“ Aber heute sei in seiner früheren Heimat alles noch schlimmer. Er spricht mit leiser Stimme im nahezu perfekten Deutsch. Erfolgreich hat er eine Lehre in der Bäckerei Pass abgeschlossen und ist jetzt Bäckergeselle. „Dabei wollte ich eigentlich nie Bäcker werden, da mein Vater Bäcker war“, sagt er.

„Schon als kleiner Junge war es mein Traum, Polizist zu werden“, meint hingegen Ramin, der Jüngste der damaligen Gruppe. Er floh mit 13 aus dem Iran, wohin seine Familie zunächst geflüchtet war. Er hatte Verwandte in Hamburg. Fast zwei Monate war er unterwegs. „Auch mit Schleusern“, sagt er und fügt – sich an die Zeit erinnernd – erleichtert hinzu: „Heute habe ich keine Albträume mehr. Anfangs schon.“ Da habe er immer wieder von den Schüssen an der iranisch-türkischen Grenze geträumt. Nein, man habe nicht auf ihn geschossen, aber in die Luft, sagt der aufgeweckte junge Mann im akzentfreien Deutsch, als sei es seine Muttersprache. Er erinnert sich daran, dass er anfangs mit Händen und Füßen kommuniziert habe. „Das stimmt“, sagt sein Freund lachend.

Mehr als neun Monate verbrachten die Jungs in der Halle. Im Anschluss daran wurde das Angebot des SOS-„Verselbstständigungswohnens“ sowie das Angebot einer SOS-Jugendwohngruppe ins Leben gerufen. Alle 16 jungen Flüchtlinge kamen in Wohnungen in Garath und Hellerhof. „Wir haben unsere Kontakte genutzt“ sagt Nicole Cramer, Bereichsleiterin bei SOS, die die Jugendlichen betreut, beispielsweise bei der Bäckerei Pass in Hellerhof.

Bäckergeselle Sheerati Hamidi hat inzwischen ein eigenes Apartment in Hassels; Ramin Majidi wohnt noch in einer Zweiergruppe mit einem Kumpel in Hellerhof, aber er ist auf der Suche nach einer eigenen Wohnung – in Gelsenkirchen. Denn der junge Mann hat die Aufnahmeprüfung für die dortige Polizeischule geschafft. Ein Musterschüler also? „Nein, nicht ganz“, sagt er und blickt zu Nicole Cramer. Es habe eine Zeit gegeben, da hatte er eine Freundin. „Da bin ich ein bisschen abgedriftet.“ Cramer nickt. Aber er habe die Kurve gekriegt.

Gemeinsam mit Sheerati war er zunächst in der Internationalen Klasse in der Benrather Hautschule. Dann ging es zum Bonhoeffer-Gymnasium nach Hilden. Dort hat er seinen Realschulabschluss gemacht. Als Jüngster konnte er nicht sofort eine Ausbildung absolvieren. Ein Test bei der Jugendberufshilfe ergab, dass er Maurer werden könnte. „Das wollte ich aber nicht. Mein Vater war Maurer.“ Dann hat er sich als Sozialassistent beworben und mehrere Praktika absolviert, unter anderem in der Altenpflege, bei Kindern „... und bei Behinderten“, ergänzt seine Betreuerin und wir sofort von Ramin korrigiert: „Menschen mit Förderbedarf.“

Mit der Note 1,6 hat Ramin schließlich abgeschlossen und sich für die Polizeischule beworben. Er gehörte zu den wenigen, die das dreitägige Auswahlverfahren bestanden. „Im Sommer 2024 bin ich fertig, dann bin ich Polizeianwärter, habe die Fachhochschulreife und möchte an der Polizeihochschule studieren.“ 2024 läuft auch sein Aufenthaltstitel ab. Das ist eine Art Personalausweis.

Das ist das Stichwort für Sheerati. Er holt seinen scheckkartengroßen Aufenthaltstitel aus seinem Portemonnaie und zeigt, dass der Ausweis abgelaufen ist – seit Monaten. „Dabei habe ich schon einen Monat vor Ablauf eine Verlängerung beantragt, und immer wieder angemahnt, aber bis heute ist nichts passiert.“ Das Ausländeramt melde sich nicht zurück.

Beide möchten gerne einen deutschen Pass. Sheerati träumt von einem eigenen Laden. Er mag Brot. Das afghanische ebenso wie das deutsche. Hier gibt es rund 2000 verschiedene Brotsorten, „und die leckeren Teilchen. Aber das ist mehr was für Konditoren.“ Er mag seinen Job. Nur die Arbeitszeiten sind schwierig. Um 21 Uhr steht er auf, um um 22 Uhr seinen Dienst anzutreten. Und wenn er um 6 nach Hause kommt, geht er erstmal schlafen. Früher habe er noch geboxt, sagt er, heute sei nur noch Zeit fürs Fitnessstudio und ab und an für Treffen mit Freunden. Dennoch ist er froh, eine Ausbildung abgeschlossen zu haben und Geld an seine Familie schicken zu können. „Als die Taliban Afghanistan übernommen haben, funktionierte eine Zeit lang gar nichts. Da waren alle Banken geschlossen.“

Auch Ramin hat Kontakt zu seiner Familie im Iran. Seine Eltern hat er seit seiner Flucht jedoch nicht mehr gesehen. Dennoch: „Ich habe alles bekommen, was ich mir wünsche. Ich bin sehr dankbar, überlebt zu haben“, sagt er. Er sei froh über die jahrelang professionelle Hilfe. „Solche Institutionen wie SOS müsste es überall geben“, meint er.

SOS-Einrichtungsleiter Herbert Stauber ist stolz, dass die jugendlichen Flüchtlinge inzwischen einen Schulabschluss haben, sich in der Ausbildung befinden oder eine Lehre abgeschlossen haben. Stolz sei er auch auf seine Mitarbeiter, die sich der großen Herausforderung angenommen haben, sagt er.

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