Insekten in NRW Das große Sterben

Bonn · In den vergangenen 27 Jahren ist die Gesamtmasse der flugfähigen Insekten in NRW um 75 Prozent gesunken. Das fanden Krefelder Forscher im vergangenen Jahr heraus. Nun wurde darüber auf einer Fachtagung in Bonn diskutiert.

 Eine Wildbiene (Archiv).

Eine Wildbiene (Archiv).

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Es summt und brummt nicht mehr: Untersuchungen in NRW und anderen Regionen Deutschlands haben ergeben, dass die Insekten verschwinden. Teils dramatische Verluste sind unter anderem bei Wildbienen, Ameisen, Wespen, Fliegen, Käfern und Schmetterlingen zu verzeichnen. „Es ist ein Rückgang, der sich durch ganz unterschiedliche Gruppen zieht“, sagte die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Beate Jessel, am Mittwoch in Bonn bei einer Fachtagung.

So seien 96 Prozent der Köcherfliegenarten rückläufig. Bei Wildbienen nähmen die Bestände bei 52 Prozent aller Arten ab. „Auch bei den Laufkäfern und bei den Ameisen haben wir hohe Gefährdungsgrade und Rückgänge zu verzeichnen.“ Neben vielen Verlierern gebe es auch einige Gewinner wie bestimmte Libellenarten. Sie profitierten möglicherweise von der Renaturierung von Gewässern oder vom Klimawandel. Die Verliererarten seien aber deutlich in der Überzahl.

„Die akademische Welt war blind gegenüber dem, was in unserer Landschaft passiert“, sagte Wolfgang Wägele, Direktor des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig (ZFMK). Der Entomologische Verein Krefeld (EVK) hatte im Sommer 2017 mit einer Studie zum Insektenrückgang international für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Kernaussage der ehrenamtlichen Forscher: In den vergangenen 27 Jahren nahm die Gesamtmasse der flugfähigen Insekten an 63 untersuchten Standorten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg um mehr als 75 Prozent ab. Besorgniserregend für EVK-Vorstandsmitglied Martin Sorg war dabei insbesondere, dass die Insektenarten sowohl in geschützten Naturgebieten als auch in den übrigen Landschaften verschwinden. Es sei vor allem dieser massive Rückgang, der beunruhige, sagte Sorg. Denn: „Ein normales terrestrisches Biotop ist ohne Insekten undenkbar.“ Vor allem über diese Studie des Krefelder Vereins diskutierten die Experten bei der Fachtagung in Bonn.

Auch die Roten Listen des Bundesamtes für Naturschutz bestätigen den bundesweiten Insektenrückgang. Beate Jessel betonte, dass es sich nicht um ein plötzliches Ereignis handelt, wie es der Begriff des Sterbens suggerieren könnte. Man habe schon seit Jahrzehnten eine kontinuierliche und schleichende Entwicklung festgestellt. Die Bestände seien „unstrittig stark rückläufig“, bestätigte Jessel. Anschaulich könne man das als Normalbürger am „Windschutzscheibeneffekt“ sehen: Anders als vor 20 oder 30 Jahren kleben nach einer längeren Autofahrt kaum noch Mücken und Fliegen auf der Scheibe. Das sei natürlich noch kein wissenschaftlicher Beweis, aber anschaulich für jedermann.

„Bei 44 Prozent der bislang rund 7500 bewerteten Insektenarten haben wir negative Bestandtrends zu verzeichnen“, sagte Jessel. Fast drei Viertel aller Tierarten in Deutschland sind Insekten. Sie sind für unsere Ökosysteme unverzichtbar, unter anderem für die Bestäubung von Pflanzen, für Nährstoffkreisläufe, den Abbau organischer Masse, die biologische Schädlingskontrolle, die Gewässerreinigung und die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit. „Wenn man auf die Ursachen sieht“, sagte Jessel, komme man immer wieder auf das Thema Landwirtschaft. „Es geht um den Verlust von Strukturen in der Landwirtschaft und den Nahrungs- und Blühangeboten für Insekten.“ Auch der anhaltend hohe Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln führe zu dem Rückgang.

Als eine weitere Ursache nannte Jessel Lichtverschmutzung. „Schon eine einzige Straßenlampe in der Nähe eines Gewässers entfaltet einen sogenannten Staubsaugereffekt.“ Sie ziehe in einer Nacht so viele Köcherfliegen an, wie in einem Gewässerstreifen von 200 Metern Breite schlüpften. Die Tiere schwirren dann um die Lichtquelle herum, bis sie schließlich erschöpft zu Boden fallen oder zur leichten Beute für Fledermäuse werden.

Auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze mahnte einen Wandel beim Umgang mit Pestiziden an. „Die intensive Landwirtschaft ist hauptverantwortlich für den dramatischen Rückgang im Bestand von Bienen, Fliegen, Käfern, Schmetterlingen“, sagte die SPD-Politikerin in Berlin. Der natürliche Lebensraum der Insekten schwinde „beängstigend schnell“.

Als Gegenmaßnahmen verwies Beate Jessel auf das von der Bundesregierung im Sommer beschlossene „Eckpunktepapier“ mit neun Handlungsbereichen, dass nach Abschluss einer Diskussionsphase mit der Öffentlichkeit als „Aktionsprogramm Insektenschutz“ bis zum Jahresende erarbeitet wird und bis zum Sommer 2019 vom Bundeskabinett beschlossen sein soll.

Insekten gelten als „Dienstleister am Ökosystem“, denn sie bestäuben Obstbäume und Gemüsepflanzen, zersetzen Aas, Totholz und Kot. Außerdem sind sie eine Nahrungsquelle vieler anderer Tiere, etwa von Vögeln. Auch deren Zahl hat dadurch in den vergangenen Jahren stark abgenommen.

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