Medienkritik Krefelder Entomologen verteidigen ihre Zahlen zum Insektensterben

Krefeld · Die alarmierenden Ergebnisse der Krefelder Entomologen über den Schwund von Insekten sind bundesweit in den Schlagzeilen – nicht immer zur Freude der Fachleute. Ihre Befürchtung: Die Ergebnisse drohen zerredet, der wahre Skandal verdeckt zu werden.

 Haben mit ihren Messergebnissen bundesweit für Wirbel gesorgt: Martin Sorg, Heinz Schwan und Andreas Müller vom Krefelder Entomologischen Verein.

Haben mit ihren Messergebnissen bundesweit für Wirbel gesorgt: Martin Sorg, Heinz Schwan und Andreas Müller vom Krefelder Entomologischen Verein.

Foto: T.L.

Die alarmierenden Ergebnisse der Krefelder Entomologen über den Schwund von Insekten sind bundesweit in den Schlagzeilen — nicht immer zur Freude der Fachleute. Ihre Befürchtung: Die Ergebnisse drohen zerredet, der wahre Skandal verdeckt zu werden.

Zum Beispiel Ranga Yogeshwar. Der bekannte TV-Wissenschaftsjournalist hat die Krefelder Entomologen im WDR-Fernsehen als "Hobby-Forscher" bezeichnet - was falsch ist. Der fachliche Spiritus rector des Vereins, Martin Sorg, ist promovierter Biologe, der seinen Doktor mit einer Arbeit über Insekten gemacht hat und bis heute als naturwissenschaftlicher Gutachter tätig ist.

Die Bemerkung ist insofern fatal, als dass die Ergebnisse des Krefelder Vereins in einigen Veröffentlichungen in die Ecke laienhafter Liebhaberei gerückt worden sind. Hintergrund: Die Ergebnisse sind mittlerweile Gegenstand einer bundesweit ausgetragenen politischen Debatte und werden in ihrer Bedeutung angezweifelt. Auch das ist fatal, denn die Krefelder Ergebnisse sind über jeden Zweifel erhaben und haben nichts von ihrer Wucht verloren.

Martin Sorg hat auf unsere Anfrage, wie er die überregionale Debatte sieht, genervt und voller Unmut reagiert: "Auf derzeitigen, die Sachverhalte verzerrenden Boulevardjournalismus von Journalisten die es noch nicht einmal für nötig halten, in ihrer Recherche sich bei uns zu melden, reagieren wir prinzipiell nicht, da wir unsere Zeit mit sinnvollen Dingen verbringen möchten."

 In Krefeld sind in den vergangenen Jahrzehnten von 28 dokumentierten Hummel-Arten 19 ausgestorben; bei den verbleibenden neun Arten geht die Zahl der Individuen beständig zurück. Das ist unterm Strich das Ergebnis von Insektenzählungen, die Fachleute des Entomologischen Vereins betreiben.

In Krefeld sind in den vergangenen Jahrzehnten von 28 dokumentierten Hummel-Arten 19 ausgestorben; bei den verbleibenden neun Arten geht die Zahl der Individuen beständig zurück. Das ist unterm Strich das Ergebnis von Insektenzählungen, die Fachleute des Entomologischen Vereins betreiben.

Foto: bigemrg

Sorgs Unmut ist berechtigt. Vorläufiger Höhepunkt in der überregionalen Debatte: In dem Onlinebranchendienst "Meedia" wird die These aufgestellt, "die Medien" seien in eine rot-grüne Wahlkampffalle getappt, weil sie angeblich kritiklos transportierten, "80 Prozent der Insekten" seien verschwunden. Dieser Wert, so der Meedia-Autor triumphierend, beziehe sich auf zwei Standorte im Krefelder Orbroicher Bruch. Plötzlich sieht es so aus, als hätte eine hysterisierte Öffentlichkeit und eine zur Hysterie neigende Journaille Berichte von Möchtegernforschern aus der Provinz maßlos aufgeblasen. Eine hübsche Enthüllungsgeschichte - nur leider ist sie falsch.

Der Reihe nach: Es stimmt, dass die Krefelder Entomologen ihre Insektenmessungen an Standorten in Krefeld vorgenommen haben und bis heute vornehmen. Die ersten Malaise-Fallen zum Fang von Insekten wurden in Krefeld in den 80er Jahren systematisiert aufgestellt - ursprünglich mit der Intention, den Jahreszyklus an Insektenvorkommen auf einer Wiese zu bestimmen. Irgendwann stellten die Entomologen zu ihrem Erstaunen - man darf sagen: zu ihrem Entsetzen - fest, dass die schiere Masse an Insekten dramatisch zurückgegangen ist.

Der Verein entschloss sich im Jahr 2013, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und seine Ergebnisse in Fachzeitschriften zu publizieren. Auch die Rheinische Post hat 2013 darüber berichtet. Demnach hat man 1989 an einem Standort noch rund 1,4 Kilogramm Bio-Insektenmasse gesammelt, 2013 waren es nur noch weniger als 300 Gramm. Sorg hatte das damals mit den Worten kommentiert: "Das sind schon dramatische Werte, die wir uns schlechterdings nicht erklären können."

Was er nicht gesagt hat (und auch in der RP nie geschrieben wurde), ist, dass dies für ganz Deutschland gilt. Sorg hat auch keine Schuldigen genannt; er hat aus den Krefelder Werten lediglich die Forderung nach mehr Forschung über Reichweite und Ursachen dieser Ergebnisse abgeleitet. Die Krefelder Messergebnisse als solche sind unanfechtbar, fachlich sauber ermittelt. Das liegt auch daran, dass beim Entomologischen Verein keine "Hobby-Forscher" zugange sind, sondern in jahrzehntelanger Tradition wissenschaftlich fundierte Arbeit geleistet wird. Es bleibt bei dem unheimlichen Krefelder Befund: Viele Insekten sind einfach weg - offen ist, in welchem räumlichen Ausmaß und warum.

Damit stellt sich natürlich die Frage, ob wir uns am Rande einer stillen ökologischen Katastrophe bewegen oder nicht. Das wühlt die Öffentlichkeit auf, zu Recht. Schließlich kommen neue Indizien dazu. So gab es in den vergangenen Monaten mehrere große überregionale Berichte über den Rückgang bei der Zahl an Vögeln in Deutschland. Natürlich liegt die Frage auf der Hand, ob das mit einem möglicherweise flächendeckenden Rückgang an Insekten zusammenhängt.

Bemerkenswert ist, dass Naturschützer mit solchen Zahlen eben nicht billig Stimmung machen - weder die Krefelder Entomologen noch die Vogelfreunde im Land. Der Nabu-Naturschutzbund schließt sich ausdrücklich Sorgs Forderung nach mehr Forschung an. Der BUND berichtet etwa von einem Negativ-Trend bei insektenfressenden Vogelarten wie dem Rotkehlchen, gibt aber zu bedenken, dass die Ursachen dafür auch zeitlich begrenzt sein können.

Wichtiger, betonen die BUND-Fachleute, "sind die langfristigen Trends, und die sind bedrohlich. Nur wissenschaftliche Studien und Forschungen können Auskunft darüber geben, ob sich das langjährige Vogelsterben aktuell beschleunigt." Auch hier also der Ruf nach mehr Forschung. Dabei sind die Zahlen bei den Vögeln nicht weniger beunruhigend als bei den Insekten: Der BUND berichtet, über den zurückliegenden Zwölf-Jahres-Zeitraum zeigte ein Drittel aller Brutvogelarten (84 Arten) signifikante Bestandsabnahmen, über den 25-Jahres-Zeitraum war es lediglich ein Viertel der Arten (65 Arten). "Dies deutet auf einen in den letzten zwölf Jahren insgesamt zunehmenden Druck auf die Brutvogelbestände hin", heißt es. Das ist nicht reißerisch, sondern vorsichtig geschlussfolgert und formuliert.

Unterm Strich hat es einen Grund, warum immer wieder die Werte der Krefelder Entomologen genannt werden: Sie sind, was Insekten angeht, die einzigen belastbaren Werte, die wir haben. Natürlich gibt es Verkürzungen in der Presse und in der Politik - so titelte die FAZ vor ein paar Tagen: "Schleichende Katastrophe: Bis zu 80 Prozent weniger Insekten in Deutschland". Dieses "bis zu" kann man leicht überlesen, und natürlich suggeriert diese Formulierung mehr Erkenntnisse über das Ausmaß des Insektensterbens, als wir haben. Das ändert aber nichts an den Krefelder Werten und den sich aufdrängenden Fragen, ob wir gerade ahnungslos Zeugen einer leisen Katastrophe werden. Das ist der wahre Skandal: es nicht zu wissen. Eben das können wir uns nicht leisten.

(RP)
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