Berlin Der Minister der Missverständnisse

Berlin · Hans-Peter Friedrichs Amtszeit im Kabinett endet, wie sie begonnen hat: wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Er wollte möglichen Schaden von dem noch wackligen schwarz-roten Bündnis abhalten und hat dabei größtmöglichen Schaden angerichtet. Der Ablauf jener Geschehnisse, die zum Rücktritt von Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich führten, passt zu vielen seiner Karriereschritte — ein Pechvogel ist abgestürzt.

Dabei gab es auch viele schöne Phasen im Leben des fränkischen CSU-Politikers. Zum Beispiel Anfang Mai 2011. Gerade hat der Airbus Flughöhe erreicht. Die Sonne scheint vom blauen Himmel. Friedrich zieht die Schuhe aus und macht es sich für den Transatlantikflug bequem. Erstmals war er wieder in Washington. Nicht als kleiner Wirtschaftsreferent an der deutschen Botschaft wie 1990, sondern als mächtiger Innenminister des wichtigen Bündnispartners Deutschland. Die Informationen haben dazu gepasst: Friedrich kann mit Hilfe von US-Geheimdienstinformationen berichten, dass das Sammeln von Passagierdaten ganz praktisch im Kampf gegen den Terrorismus hilft. Da ahnt er noch nicht, dass die Sammelwut der US-Spionage sein Bild als tatkräftiger Minister nachhaltig beschädigen wird.

Aber er hat sich gerade eingerichtet in einem Amt, das er nicht wollte. Zwei Monate zuvor war nämlich seine eigentlich glücklichste Polit-Phase abrupt zu Ende gegangen. Bis zum 1. März 2011 hatte er sich als CSU-Landesgruppenchef prächtig gefühlt. Ein Traumjob für jeden Christsozialen: kein Thema, bei dem er nicht wichtig wäre. Er bringt im Koalitionsausschuss das bayerische Gewicht ein, ist dabei weder in die Kabinettsdisziplin eingebunden noch an der kurzen Leine des Parteichefs geführt. Er allein entscheidet, ob er lieber hinter den Kulissen agiert oder krachend für Schlagzeilen sorgt. Der Landesgruppenchef der CSU hat in CDU-geführten Bundesregierungen automatisch Augenhöhe mit dem Kanzleramt.

Das Glück endet, weil CSU-Strahlemann Karl-Theodor zu Guttenberg über ein Doktorarbeits-Plagiat zum Glühwürmchen mutiert und die Schwesterparteien die Ressorts tauschen. Nun braucht CSU-Chef Horst Seehofer einen neuen Innenminister. Pech für Friedrich, dass alle Kandidaten aus München nach kurzer Bedenkzeit und Rücksprache mit der Familie abwinken. "Und jetzt ruft keiner mehr seine Familie an!", donnert Seehofer, nachdem er Friedrich in die Pflicht genommen hat.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel ereilt Friedrich das Innenressort. Er ist schwer beeindruckt von der gepanzerten Limousine und fremdelt erkennbar mit der Tatsache, über Nacht eine der meistgefährdeten Personen geworden zu sein. Noch bevor er sein Ministerbüro betritt, hat er es sich schon mit vielen verscherzt: Denn am Tag seiner Ernennung bleibt er dabei, dass er es anders sieht als der damalige Bundespräsident Christian Wulff. Nein, für ihn gehört der Islam "nicht zu Deutschland". Der Aufschrei des anderen Lagers ist ihm gewiss. Und er beeilt sich nicht mit Relativierungen, dass er es "nur historisch gemeint" habe, weil die eigene Truppe ihn dafür umarmt: ein harter Hund und rechter "Sheriff" im Innenressort. Dös passt scho!

In Wirklichkeit passt es aber kaum zu Friedrich. Denn tief im Herzen versteht er sich als Liberaler. Ja klar, er hat als Jugendlicher gegen den linken Zeitgeist zur CSU gefunden. Aber in den 70er und 80er Jahren sind Jungpolitiker wie er auch Vorkämpfer gegen Verknöcherungen im konservativen Lager. Seine eigene Familienkonstellation spricht Bände, der Islam gehört zu Friedrich: Seine Schwägerin Ceynip stammt aus der Türkei, und auch Friedrich selbst nimmt regelmäßig am Fastenbrechen teil.

Der Widerspruch zwischen Friedrichs Selbstbild und seinem Bild in der Öffentlichkeit reicht vom ersten bis zum letzten Tag im Amt des Innenministers. Da wird ihm rückschauend vorgehalten, dem US-Geheimdienst NSA auf den Leim gegangen zu sein. Statt mannhaft gegen den Überwachungswahn der Schlapphüte in Washington aufzutreten, registriert die Öffentlichkeit nur eine schlappe Intervention gegen millionenfaches Abhören von Deutschen. Ob die Supermacht USA sich durch markige Worte eines deutschen Ministers hätte beeindrucken lassen? Vermutlich ärgert sich Friedrich inzwischen selbst, zumindest zur Selbstachtung keine schärferen Töne gewählt zu haben.

Stattdessen wird Friedrich am Ende neuerlich zum Aufreger, weil er angeblich selbstherrlich ein "Supergrundrecht auf Sicherheit" erfunden habe. Tatsächlich will er die sozialdemokratischen Kritiker an eigene Regierungsverantwortung erinnern. Otto Schily, einer seiner Vorgänger, so Friedrich im Sommer, habe "sicherlich Recht, wenn er von der Sicherheit als Supergrundrecht gesprochen hat". So ist der Ball geworfen. Aber er landet als Friedrichs Erfindung ohne den SPD-Vorgänger als Quellenangabe.

Bei der neuerlichen Regierungsbildung hat Friedrich nicht ganz so viel Pech wie sein CSU-Ministerkollege Peter Ramsauer, der aus dem Kabinett fliegt. Doch das inzwischen geliebte Innenressort darf er nicht behalten. Als Landwirtschaftsminister beginnt er gerade damit, mit neuer Freude für ländliche Räume neu zu starten, als seine Ministerkarriere endet, wie sie begann: wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dass SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in einer öffentlichen Erklärung Friedrichs Plaudereien bloßstellt, erfährt der erst, als die Eilmeldung schon läuft.

Warum nur hat er sich selbst um Kopf und Kragen gebracht? Höchst vertrauliche und sensible Ermittlungsinformationen SPD-Chef Siegmar Gabriel erzählt und damit zumindest in Kauf genommen, dass dessen Parteifreund Sebastian Edathy Belastendes beseitigen könnte? Weil er im Oktober 2013 sah, wie wackelig das sich abzeichnende Bündnis aus Union und SPD ist. Seine Horrorvorstellung: Mitten in den Start der neuen Koalition mit einem möglichen Regierungsmitglied Edathy platzen Nachrichten mit Ermittlungen gegen den SPD-Politiker. Sofort, so sein Kalkül, werde man ihn, Friedrich, beschuldigen, die Koalitionäre nicht gewarnt zu haben. Damit wäre durch seine Schuld das Bündnis in eine prekäre Schieflage gegenseitigen Misstrauens geraten.

Doch das ist zu kurz gedacht. Früher oder später musste seine Plauderei herauskommen und als unerträgliche Belastung der Strafverfolger empfunden werden. Sein letzter Fehler im Amt: Trotz kompletten Vertrauensverlustes der Kanzlerin so lange weitermachen zu wollen, wie gegen ihn nicht offiziell ermittelt wird. Doch dann versteht er am Nachmittag, was Merkel mit der Bemerkung vom Vormittag meint, seine Erklärung stehe für sich: dass Friedrich alleine stehe und deshalb gehen müsse.

Beim Rücktritt wirkt er fast fröhlich. So als wäre das alles nur ein einziges Missverständnis. Tatsächlich ist es das Ende einer Ministerschaft der Missverständnisse — bis hin zu seinen letzten fünf Worten: "Ich komme wieder — vielen Dank!"

(may-)
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