Ex-Kanzlerin im Podcast Angela Merkel und der blonde Siegfried

Bayreuth · In einem SWR-Podcast debattiert die frühere Bundeskanzlerin über Habgier, Rache und Eitelkeit in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Es lohnt sich.

Angela Merkel mit ihren Podcast-Kollegen Thomas Fischer (l.) und Holger Schmidt.

Angela Merkel mit ihren Podcast-Kollegen Thomas Fischer (l.) und Holger Schmidt.

Foto: SWR

Jahr um Jahr sah man sie heranbrausen, sie schälte sich aus der Limousine, von Blaulicht umflackert, die Sonne lachte und biss, vergnügt winkte sie den Zaungästen zu – und dann begab sie sich in musikalische Klausur. Jahr um Jahr war sie Gast der Bayreuther Festspiele, kein Kanzler zuvor hatte jemals eine solch beharrliche Liebe zu einer geistigen Vergnügung bewiesen, die mit Strapazen verbunden war. Angela Merkel und Richard Wagner, die Regierungschefin und die Bayreuther Festspiele – das war 16 Jahre lang eine fast institutionelle Einrichtung.

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Foto: dpa/Tobias Hase

Was hat sie dort gelernt, was hat sie behalten, warum war ihr Bayreuth wichtig? All diese Fragen klingen an in einem Podcast des SWR, der regelmäßig unter dem Motto „Sprechen wir über Mord!“ gesendet wird und sich nun mit Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ beschäftigt. Die Ex-Kanzlerin stellt sich darin den Fragen des Moderators Holger Schmidt, der dritte Diskussionspartner ist der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer.

Drei Themenbereiche sind zur Abhandlung vorgesehen: Habgier, Rache, Eitelkeit. Was anderenorts unter die Todsünden fällt, ist immer auch ein „anthropologisches Grundmotiv“ (Fischer). Wagners Hauptwerk ist jedenfalls voll davon, und ein bisschen ist es schon schade, dass das Debattiertrio kein einziges Mal erwähnt, dass es seit 1968 ein geistreiches Buch dazu gibt: Ernst von Piddes „Richard Wagners ,Ring des Nibelungen‘ im Lichte des deutschen Strafrechtes“.

Angela Merkel – herausragende Momente einer Kanzlerin (in Bildern)
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Angela Merkel – herausragende Momente einer Kanzlerin

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Foto: dpa/Peter Kneffel

Gleichwohl ist der SWR-Dreiteiler lehrreich, denn Merkel ist bei Wagner sattelfest unterwegs. Anders als jener wonnige Wagnerianer, der von edlen Motiven und schmetternden Hörnern schier besoffen ist, blickt sie dem Werk tatsächlich auf den Grund. Politische Machtspielchen kennt sie ja selbst gut genug, aber sie überblickt auch die schrecklichen Verstrickungen, die sich von „Rheingold“ bis zur „Götterdämmerung“ ziehen. Wer Merkel nicht mag, kann sagen: In 16 Jahren Bayreuth muss sie ja etwas behalten haben. Wer sie schätzt, darf das Fazit ziehen: Solch kompetenten Umgang von Politikern mit künstlerischen Inhalten wünscht man sich häufiger. Die Meisterwerke für das Musiktheater von Mozart, Verdi und Puccinis dürfte sie weniger präsent haben.

Merkel im Sommer 2022 in Bayreuth – bei „Tristan und Isolde“.

Merkel im Sommer 2022 in Bayreuth – bei „Tristan und Isolde“.

Foto: dpa/Daniel Löb

Tatsächlich verblüfft die frühere CDU-Politikerin immer wieder, weil sie Details und genauen Text nennt. Ihre Analyse des ersten Mords in „Rheingold“ (Riese Fafner erschlägt seinen Bruder Fasolt) klingt so präzise, als strebe sie eine Stelle als Chefdramaturgin in einem Opernhaus an. Ohne Fehl und Tadel auch ihr Statement über die blonde Bestie Siegfried: „Der ist kein selbstreflektierender Charakter, und zum strahlenden Helden reicht es bei ihm auch nicht.“ Plumpe Anfragen des Moderators („Hatten Sie als Politikerin schon mal Rachegedanken?“) lässt sie abperlen. Spannend wird es, wenn Merkel mit dem stets etwas unfroh wirkenden Thomas Fischer über den Aspekt des Affektes bei der Rache („Wann gibt es mildernde Umstände?“) spricht und gleich die Belegstelle im „Ring“ anführt: Brünnhilde wird genau ein einziges Mal von Rachegefühlen überwältigt und gibt Siegfried in genau diesem Moment dem Mord durch Hagen preis.

Manches Mal zieht sich Angela Merkel gewiss auf Politikersprech zurück, dann sind Aspekte „interessant“ oder „spannend“ – Leervokabeln, heiße Luft. Doch einmal produziert sie ein Bonmot mit (ungewolltem?) Hintersinn, als sie das „Rheingold-Personal“ benennt: „Götter und andere Zwerge“.

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