Radiosender duzen ihre Hörer „Du da, vorm Radio...“

Jetzt geht auch der Sender WDR 2 dazu über, seine Hörerinnen und Hörer zu duzen. Wie langjährige Bekannte tituliert zu werden, gefällt aber nicht allen.

Das WDR-Funkhaus am Wallrafplatz in Köln.

Das WDR-Funkhaus am Wallrafplatz in Köln.

Foto: WDR/Herby Sachs

Verkehrsmeldung im Radio: „Auf der A57 Köln Richtung Krefeld vor dem Kaarster Kreuz steht ihr 20 Minuten im Stau wegen ‘nem kaputten Lkw.“ So kumpelhaft-salopp geht es beim WDR-Sender Eins Live schon seit Jahren zu – und längst nicht bloß bei solchen Durchsagen. Schließlich besteht die Zielgruppe aus 14- bis 39-Jährigen. Nun aber ist man auch beim altehrwürdigen WDR 2, der nicht im Verdacht steht, junge Leute und Berufsjugendliche zu bedienen, zum Duzen übergegangen. Die Pop- und Infowelle richtet sich besonders an die 25- bis 59-jährigen Hörerinnen und Hörer, also an ein Publikum, das bei den Umgangsformen in Teilen durchaus noch von der alten Schule ist.

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Foto: dpa/Henning Kaiser

Die Lockerungsübung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk begeistert nicht alle: „Das ,Sie‘ ist fott, wie der Kölner sagt“, konstatierte kürzlich Andreas von Thien, Sportmoderator bei RTL. „Im Moment ärgere ich mich morgens, wenn ich ins Bad gehe und das Radio anschalte. Seit Jahren läuft bei mir zum Wachwerden WDR 2. Und plötzlich werden die Hörerinnen und Hörer geduzt“, sagte von Thien dem „Tagesspiegel“. „Wie geht’s ,euch‘ da draußen, was macht ,ihr‘ so?“ – Vermutlich sei er noch nicht bereit für dieses Dauer-Duzen. „Ich glaube, WDR 4 spricht die werte Hörerschaft noch mit ,Sie‘ an. Bis gleich auf der anderen Seite!“, schreibt Sandro J. auf Twitter. „Wieso werden die Hörer aktuell gerade alle geduzt? Das senkt tatsächlich das Niveau, wir wechseln“, kommentiert M.M. auf Trustpilot.

Beim Sender selbst gibt man sich gelassen: „Für viele Hörer:innen ist WDR 2 eine Art Familienmitglied, die Moderator:innen sind so etwas wie langjährige Bekannte. Entsprechend gut ist das Feedback“, teilt der WDR auf Anfrage mit. Teilweise ergebe sich das „Du“ automatisch in den persönlichen Gesprächen. Auch die Moderatoren, Reporter und Korrespondenten duzten sich untereinander. Zudem werde stets vorab geklärt, ob geduzt oder gesiezt werden soll. Auch in Moderationen außerhalb von Talks würden die Hörerinnen und Hörer, wenn es passt, zunehmend mit „ihr“ und „euch“ angesprochen: „Das entspricht dem starken Communitygefühl (,Zusammen sind wir der Westen‘).“

Nahezu wortgleich begegnet der NDR Kritik am Duzen, und irgendwie fühlt man sich an die Überdosis Rolf Zuckowski erinnert, die man erlitten hat, als die Kinder noch klein waren: „Du da im Radio / Wie geht‘s dir denn heut‘ morgen? / Du da im Radio / Wie war denn deine Nacht? // Du da vorm Radio / Auch ich hab meine Sorgen / Du da vorm Radio / Ich bin schlecht aufgewacht“, heißt es in einem Lied des beim sehr jungen Publikum beliebten Sängers und Komponisten.

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hingegen lotete bei den Hörerinnen und Hörern seines Landesprogramms 88.8 ganz pragmatisch vorab aus, wie sie es mit der Anrede am liebsten halten: „Sie oder du – wat denn nu?“, lautete der Titel der Umfrage. Ergebnis: Ausgerechnet in der nicht gerade für strenge Höflichkeitsformen bekannten Hauptstadt erklärten 72 Prozent, sie würden gern gesiezt werden, 28 Prozent waren mit dem Du einverstanden. „Heißt: wir siezen Sie gerne weiter“, teilte der RBB daraufhin mit, der zuvor hatte durchblicken lassen, durch soziale Medien sowie in vielen Firmen sei das „Du“ inzwischen selbstverständlich, weil persönlicher und näher.

Tatsächlich gehörte das Siezen im stetig wachsenden Social-Media-Bereich schon immer zur absoluten Ausnahme, die ungeschriebenen Regeln dort schwappen zunehmend auf die Kommunikation in der wirklichen Welt über. Die Globalisierung mit dem einfachen „You“ in der internationalen Business-Sprache Englisch bleibt nicht ohne Einfluss auf die Anredeformen im Büro, wo das „Du“ zudem flache Hierarchien zum Ausdruck bringen soll.

So sinkt die Neigung zum „Sie“ seit Jahren beständig. Zwischen einem Friedrich Schiller, der 1794 einen Brief an seinen Dichterkollegen Johann Wolfgang von Goethe mit den Worten begann: „Hochwohlgeborener Herr, Hochzuverehrender Geheimer Rath!“ und mit „Hochwohlgeboren, gehorsamster Diener und aufrichtigster Verehrer“ endete, und einem jungen Angestellten im Apple-Store, der einen um etliche Jahrzehnte älteren Silberrücken mit den Worten „Wie kann ich dir helfen?“ anredet, liegen Welten.

Auch Ikea duzt Kundinnen und Kunden seit Jahren konsequent. Der Otto-Versand greift nur noch zum „Sie“, wenn es um Zahlungsaufforderungen geht. Ob beim Elternabend in Kitas oder Schulen, in Cafés, Boutiquen oder beim Anruf im Kundencenter – die traditionelle Sie- Kultur ist spürbar auf dem Rückzug. In Berlin haben die Jusos mit dem Vorschlag, dass Schüler ihre Lehrer duzen dürfen sollen, für Kontroversen gesorgt.

Deutschland verduzt. Die formlose Ansprache soll auf der Senderseite signalisieren, was bei den Empfängern keineswegs immer erwünscht ist: Kontakt auf Augenhöhe, Gleichheit und Offenheit, Distanz abbauende, you-gendlich wirkende Kommunikation. Zwar wünschen sich einer Forsa-Umfrage von September 2020 zufolge 28 Prozent, Siezen in Deutschland möge abgeschafft werden. 40 Prozent der Bundesbürger stört es aber weiterhin, wenn sie in der Öffentlichkeit von einer fremden Person geduzt werden, insbesondere ältere Personen ab 60 Jahren. 56 Prozent haben damit kein Problem.

Duzen im besten Sinne heißt, jemandem Respekt zu bezeugen. Eine Polizistin oder einen Polizisten spontan zu duzen, würde einem wohl nicht einfallen. Auch wenn es von deren Seite heißt: die Polizei, dein Freund und Helfer.

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