Ganz reale Traumfabrik Oscars 2023 – so war die Verleihung

Analyse | Los Angeles · Bei der diesjährigen Verleihung der Oscars gingen gleich mehrere Träume in Erfüllung. Eine Preisträgerin hatte nie zuvor eine Nominierung erhalten, ein anderer kämpfte sich nach Depressionen zurück.

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Das sind die Gewinner der Oscars 2024

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Foto: Chris Pizzello/Invision/AP/Chris Pizzello

Die Reise nach Hollywood hat sich für Claudia Roth gelohnt. Die Kulturstaatsministerin war nach Los Angeles geflogen, um die deutsche Netflix-Produktion „Im Westen nichts Neues“ zu unterstützen, die mit sensationellen neun Nominierungen ins Rennen um die Oscars ging. Vier Goldjungen hat Edward Bergers filmische Neuinterpretation des Antikriegsromans von Erich Maria Remarque nun tatsächlich abräumen können – so viele wie kein deutscher Film zuvor. Beste Kamera, beste Original-Musik, beste Ausstattung und schließlich noch der Oscar für die beste internationale Produktion, die Regisseur Berger zusammen mit den Schauspielern Felix Kammerer, Albrecht Schuch und Daniel Brühl in Empfang nahm.

Auf den ersten Blick passt „Im Westen nichts Neues“ als historische Literaturverfilmung gut ins deutsche Beuteschema der Academy. Aber Bergers Film ist kein Geschichtsepos, sondern zeigt das Grauen des Ersten Weltkrieges fast schon zeitlos aus der individuellen Kanonenfutter-Perspektive. Der Ukrainekrieg hat dem Film eine unverhoffte, schmerzende Aktualität verliehen. Aber die Auszeichnungen in den anderen Kategorien beweisen auch, dass dies keine reine Themenentscheidung war, sondern die hohen künstlerischen und technischen Qualitäten des Films den Ausschlag gegeben haben.

Ein großer Sieg ist dies nicht nur für den deutschen Film, sondern auch für den Streamingdienst „Netflix“, der bei den Oscar-Verleihungen schon lange versucht, sein Image als böser Kinokiller mit prestigeträchtigen Projekten aufzupolieren. Neben den vier Oscars für „Im Westen nichts Neues“ konnte „Netflix“ auch gleich noch die Auszeichnung für den besten Animationsfilm an Guillermo del Toro’s „Pinocchio“ mitnehmen.

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Foto: AP/Jordan Strauss

Aber der eigentliche Sieger des Abends ist ein ganz anderer Film. Mit elf Nominierungen ging die quicklebendige Science-Fiction-Komödie „Everything Everywhere All at Once“ ins Rennen und kam mit sieben Auszeichnungen durchs Ziel – darunter die für den besten Film. Der ist ein wunderbar abgedrehtes Spektakel, in dem Michelle Yeoh als Wäschereibesitzerin chinesischer Herkunft den Kampf mit feindlichen Kräfte im Multiversum aufnimmt – eine Satire auf die Schwemme der Superheldenfilme und gleichzeitig eine Ode an mütterliche Multitasking-Fähigkeiten.

Lange musste die asiatische US-Community auf ihre Anerkennung in Hollywood warten. Der Oscar an den koreanischen Film „Parasites“ ebnete 2019 den Weg für eine veränderte Wahrnehmung. Daniel Kwans und Daniel Scheinerts Film ist fest in der chinesischen Einwanderungskultur verankert und erweitert dieses Universum mit cineastischer Verve. Dass dieser Film mit seinem Underground-Charme als Sieger bei der Verleihung hervorgeht, beweist, dass die Academy zunehmend bereit ist, auch unkonventionelle Filme zu feiern.

Die herzergreifende Rede des besten Nebendarstellers Ke Huy Quan zeigte, wie eng auch das Personal des Filmes mit der Immigrationskultur verbunden ist. In einem Flüchtlingcamp habe seine Reise begonnen, erzählte Quan, und dass er oft fast den Glauben an seinen Beruf verloren hätte. „Das ist der amerikanische Traum“, ruft er in den Saal. Hollywood wird an diesem Abend als ganz reale Traumfabrik gefeiert. „Wir schreiben hier Geschichte“, sagt auch die beste Hauptdarstellerin Michelle Yeoh. Die malaysische Schauspielerin arbeitete sich in Hongkong zur Filmikone hoch, bevor sie über den James-Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“ 1997 den US-Markt eroberte. Und die Sechzigjährige hat noch eine Botschaft: „Frauen, lasst euch nie sagen, dass eure beste Zeit vorbei ist“. Und damit macht sie auf die Tatsache aufmerksam, dass Frauen – im Gegensatz zu Männern – ab einem gewissen Alter in Hollywood als schwer vermittelbar eingestuft werden.

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 Daniel Scheinert (l.) und Daniel Kwan nehmen den Preis für das beste Originaldrehbuch für „Everything Everywhere All at Once" bei der Oscar-Verleihung im Dolby Theatre in Los Angeles entgegen.

Daniel Scheinert (l.) und Daniel Kwan nehmen den Preis für das beste Originaldrehbuch für „Everything Everywhere All at Once" bei der Oscar-Verleihung im Dolby Theatre in Los Angeles entgegen.

Foto: dpa/Chris Pizzello

Dagegen hat die Academy mit der Auszeichnung der 64-jährigen Jamie Lee Curtis als beste Nebendarstellerin ein weiteres deutliches Zeichen gesetzt. Seit den 70er Jahren gilt Curtis als ungekrönte Königin des Genrekinos. Dennoch war sie zuvor noch nie für einen Oscar nominiert, weil Klassiker wie „Halloween“ oder „Ein Fisch namens Wanda“ als nicht Oscar-würdig angesehen werden. Und noch ein Traum wurde an diesem Abend gefeiert: der Traum vom Comeback. Brendan Fraser war einst in Filmen wie „Die Mumie“ ein strahlender Blockbuster-Star, bis er in tiefste Depression verfiel. Als bester Hauptdarsteller wurde er nun für „The Whale“ ausgezeichnet – ein Happy End, wie es nur in Hollywood geschrieben werden kann.

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