Günther Oettinger "Strompreis steigt pro Jahr um zehn Prozent"

Der EU-Energiekommissar beklagt, dass Deutschland den höchsten Strompreis weltweit hat. Er fordert eine Generalüberholung der Ökostrom-Umlage und erklärt, warum die EU Staatshilfe für Atomstrom erleichtern will.

Günther Oettinger: "Strompreis steigt pro Jahr um zehn Prozent"
Foto: Probst, Andreas (apr)

Der Strompreis ist Wahlkampf-Thema. In Kürze wird die Höhe des Ökozuschlags (EEG-Umlage) für 2014 berechnet. Wie hoch wird er steigen?

Oettinger (lacht) Das hängt von den Sonnenstunden im Juli, August und September ab. Wird es ein toller Sommer, ist das zwar erfreulich – aber es wird richtig teuer für Verbraucher und Wirtschaft. Ich rechne damit, dass die EEG-Umlage von derzeit 5,3 Cent je Kilowattstunde auf mehr als sechs Cent steigen wird.

Werden die Strompreise nicht zur Gefahr für den Standort Deutschland?

Oettinger Sie sind bereits eine reale Gefahr. Der deutsche Strompreis gehört jetzt schon zu den höchsten weltweit – mit Zypern, Dänemark, Italien und Japan. Und er wird um schätzungsweise zehn Prozent pro Jahr weiter steigen. Wenn ich mit Konzernchefs rede, höre ich immer öfter, dass ihre Hauptsorge die nicht mehr wettbewerbsfähigen Strompreise sind. Die machen ihnen mehr Kopfschmerzen als die Arbeitskosten. Schon jetzt beträgt etwa der Gaspreis in den USA nur rund 30 Prozent des Gaspreises in Europa. Da stellt sich bei Unternehmen mit großem Energiebedarf schnell die Frage, ob Chicago oder Houston nicht reizvollere Standorte sind als Köln oder Antwerpen.

Die USA verdanken die Billigpreise dem Schiefergas-Boom. Sollte Deutschland seine Skepsis gegenüber Fracking überwinden?

Oettinger Es wäre falsch, sich jetzt – von Emotionen geleitet – zu einem Veto gegen Fracking in Deutschland zu entscheiden. Denn mit Vetos macht man keine kluge Energiepolitik. Wir wollen eine Diversifizierung unserer Energiequellen und Lieferanten in Europa. Ich glaube, im Rahmen dieser Strategie sollte man auch die Option Schiefergas wahren. Wenn wir jetzt Probebohrungen durchführen, werden wir in einigen Jahren klüger sein und auch über die Kosten besser Bescheid wissen.

Und die Gefahr für das Trinkwasser?

Oettinger Der Schutz von Gebieten, wo Trink- und Grundwasser vorkommt, wie im Falle des Bodensees, ist absolut richtig. Aber man muss auch die Fakten sehen: Ich habe mir jüngst eine Fracking-Bohrung in den USA angesehen, da ging es bis 5000 Meter runter. Bis zur Grundwassertiefe sind also mehrere Tausend Meter Gesteinsschichten als Puffer dazwischen. Die Gefahren entstehen direkt am Bohrer – und sind nach meiner Auffassung beherrschbar. Ich vertraue da einem Ingenieurland wie Deutschland.

Die EU-Kommission übt viel Kritik an der deutschen Energiepolitik. Der Wettbewerbskommissar prüft die Befreiung energieintensiver Betriebe von der Ökostrom-Umlage. Drohen Firmen Millionen-Rückzahlungen?

Oettinger Die Kommission als Wettbewerbshüter musste tätig werden, weil es Beschwerden über die Industrieermäßigungen gab. Der Brutto-Strompreis in Deutschland ist hoch, wird aber durch die Ermäßigung für energieintensive Betriebe künstlich niedriger gehalten. Das muss beihilferechtlich geprüft werden, und das tun wir.

Brüssel prüft ja auch das deutsche Ökostrom-Gesetz insgesamt auf seine Vereinbarkeit mit EU-Recht. Ist es haltbar?

Oettinger Das EEG war ein glänzendes Gesetz in den Gründungsjahren der volatilen erneuerbaren Energien, als es darum ging, Fotovoltaik von null auf drei Prozent im deutschen Energiemix zu bringen. Das EEG jetzt unverändert aufrechtzuerhalten, führt zu Fehlanreizen und zu einer völlig unnötigen Strompreisverteuerung in Deutschland. Die Zahl der Stunden, in denen wir zu viel Strom am falschen Ort haben, nimmt kontinuierlich zu. Und in Spitzenzeiten haben wir wiederum Mühe, den Strombedarf zu decken.

Die EU überarbeitet gerade ihre Beihilfe-Leitlinien im Umweltbereich. Einem Entwurf zufolge werden staatliche Hilfen für Atomkraftwerke einfacher. Steuert die EU mit Vollgas zurück in die Vergangenheit?

Oettinger Das ist Quatsch. Hier geht es nicht um Kernkraftgläubigkeit der Kommission. Großbritannien will alte Kohlekraftwerke stilllegen und neue Atommeiler zur Sicherung der Versorgung bauen. London argumentiert, dass emissionsarmer Atomstrom ebenso zum EU-Klima-Ziel beiträgt, bis 2020 ein Fünftel CO2 einzusparen, wie erneuerbare Energien. Deshalb müsse er auch genauso staatlich gefördert werden können. Die Meinung der Briten wird von anderen geteilt, vermutlich von Tschechen, Litauern, Polen und Franzosen. Die Kommission ist verpflichtet, dies ernsthaft prüfen.

2014 sind Europawahlen, und es wird eine neue Kommission geben. Streben Sie eine zweite Amtszeit an?

Oettinger Ich fühle mich wohl in Brüssel und kann mir gut vorstellen zu bleiben. Aber das hängt natürlich vom Wahlausgang in Deutschland ab. Der Reiz daran wäre, dass nur wenige Kommissare wiederkommen, weil mittlerweile daheim die Regierungschefs, die sie geschickt haben, nicht mehr an der Macht sind. Daher hätte ein "Senior" besonders viel Einfluss und Gewicht. Andererseits wäre ich im kommenden Jahr mit 61 Jahren gerade noch jung genug, um einige Jahre in der Industrie Erfahrung zu sammeln.

Was ist mit einer Rückkehr in die Landespolitik?

Oettinger Das ist nicht mein Karriereplan. Dies auszuschließen wäre jedoch arrogant gegenüber dem Amt des Ministerpräsidenten. Fest steht: Ich bin Baden-Württemberger und bleibe es auch. Und es gibt nur zwei Plätze, wo ich alt werden möchte – im Ländle oder in Hamburg, wo meine Lebensgefährtin herkommt.

UNSERE KORRESPONDENTIN ANJA INGENRIETH FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort