Koalitionsvertrag steht Rot-Grün in Hannover Vorbild für Berlin

Berlin/Hannover · Koalitionsvertrag in Niedersachsen enthält, was SPD und Grüne auf Bundesebene auch gerne durchsetzen möchten

Mit Stephan Weil, der morgen in Niedersachsen zum neuen SPD-Ministerpräsidenten gewählt werden soll, sind sie im Berliner Willy-Brandt-Haus richtig zufrieden. Nicht nur, weil der bisherige Bürgermeister von Hannover bei der Landtagswahl am 20. Januar zusammen mit den Grünen denkbar knapp und ziemlich unerwartet gegen David McAllister gewonnen hatte. Zufrieden ist die SPD-Spitze mit Weil auch deshalb, weil es dem Niedersachsen gelang, einen Koalitionsvertrag zu konzipieren, der so ziemlich alles das enthält, was SPD und Grüne auf Bundesebene auch gerne durchsetzen möchten — sollten sie am 22. September auch die Bundestagswahl gewinnen.

Der Koalitionsvertrag von SPD und Grünen in Niedersachsen, den die Gremien der Parteien am Wochenende einstimmig billigten, ist eine Art Blaupause für Rot-Grün auf Bundesebene: Neben einer Reihe von landespolitischen Vorhaben — der Abschaffung der Studiengebühren, dem Wegfall des Turbo-Abiturs an Gesamtschulen oder der Verzögerung des Autobahnen-Weiterbaus — enthält der Koalitionsvertrag vor allem eines: Rot-Grün will zahlreiche Steuern erhöhen.

Die Vereinbarung in Niedersachsen sieht die Wiedereinführung der Vermögensteuer, die Anhebung des Spitzensatzes bei der Einkommensteuer, die Abschaffung des Ehegattensplittings, die Anhebung der Kapitalertragsteuer, die Erhöhung der Grunderwerbsteuer und der Grundsteuer sowie die "Weiterentwicklung" der Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer vor. Insgesamt haben SPD und Grüne in Niedersachsen sechs Steuerarten im Visier, deren Quellen künftig kräftiger sprudeln sollen. Der Steuerzahlerbund hat den Koalitionsvertrag nicht ganz grundlos als eine "Steuererhöhungsorgie" kritisiert.

Doch auch auf Bundesebene setzen SPD und Grüne im Wahlkampf auf die Kernbotschaft, der Staat sei unterfinanziert und brauche dringend mehr Einnahmen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will die Vermögensteuer zwar so ausgestalten, dass kleinere und mittlere Betriebe davon weitgehend verschont bleiben. Doch die Anhebung des Spitzensatzes bei der Einkommensteuer von derzeit 42 Prozent (ab zu versteuernden Jahreseinkommen von 250 000 Euro: 45 Prozent) auf 49 Prozent ab 100 000 Euro Einkommen im Jahr dürfte auch viele kleinere Unternehmer stark belasten, wenn Rot-Grün den Ankündigungen Taten folgen ließe. Zumal ein alternativer Plan den Spitzensteuersatz von 49 Prozent bereits ab Einkommen von 80 000 Euro vorsieht.

Der Bund der Steuerzahler erklärte, die von den Niedersachsen und der SPD im Bund geplanten Steuererhöhungen beträfen nicht nur Vermögende und Gutverdiener, sondern auch Eigenheimbesitzer, Mieter, Familien, Arbeitnehmer und Sparer. Eine Anhebung der Grundsteuer, die sich auf die aktuellen und nicht mehr auf völlig überalterte Verkehrswerte bezieht, wird zwar auch von Verfassungsrechtlern und von vielen Ökonomen gefordert. Doch würde der Plan zeitnah umgesetzt, würde das den Anstieg der Immobilienpreise beschleunigen und zu drastisch höheren Mietnebenkosten und Mieten führen.

"Der rot-grüne Koalitionsvertrag hat sehr große inhaltliche Schnittmengen mit dem SPD-Wahlprogramm", freute sich Stephan Weil nach seiner Einigung mit den Grünen. Einzig die Verteilung der Ministerien in Hannover stieß manchen in der SPD unangenehm auf: Die Grünen, die bei der Wahl auf 13,7 Prozent kamen, erhalten die vier Ressorts Justiz, Umwelt, Agrar und Wissenschaft. Die viel größere SPD, die 32,6 Prozent erreichte, bekommt nur einen Ministerposten mehr als der Koalitionspartner.

Im Bund will die SPD offenbar nicht so großzügig sein: Auf keinen Fall werde die SPD den Grünen im Falle einer Regierungsübernahme nach dem 22. September das Energieressort überlassen, sagte NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) dem "Spiegel". Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hatte die Zuständigkeit für Energie unlängst für seine Partei reklamiert.

(mar)
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