Minister Özdemir und die Grüne Woche Da beißt man sich dann durch

Analyse | Berlin · Es ist seine erste Grüne Woche als Minister - und eine Art Feuertaufe für Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Viele werden an ihm zerren. Und der Grüne muss sich auch auf ungewohnten Widerstand einstellen.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wird einiges serviert bekommen auf der Grünen Woche. Er ist Vegetarier.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) wird einiges serviert bekommen auf der Grünen Woche. Er ist Vegetarier.

Foto: dpa/Marijan Murat

Manch ein Vorgänger hat sich auch schwergetan bei dem, was ihm so serviert wurde. Viel Wurst, etwas Käse, zwischendurch ein Schnäpschen. Da beißt und trinkt man sich dann durch. Cem Özdemir ist Vegetarier. Auch der Landwirtschaftsminister wird am Freitag nächster Woche zusammen mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) frühmorgens einen Rundgang über die Grüne Woche in Berlin absolvieren. Wie seine Vorgänger. Essenstechnisch eine Herausforderung für Özdemir. Vieles andere allerdings auch, was rund um die weltweit größte Agrarmesse geschieht.

Fast drei Jahre konnte die Internationale Grüne Woche wegen Corona nicht wie gewohnt live auf dem Berliner Messegelände stattfinden. Am 20. Januar öffnet die „IGW“ aber wieder ihre Türen. Es ist nicht der erste Besuch Özdemirs, aber sein erster als Minister live vor Ort. Er steht unter besonderer Beobachtung. Denn die Messe mit rund 1400 Ausstellern aus 70 Ländern ist zum einen eine gigantische Leistungsschau, zum anderen ein großes Politikum: Nirgendwo sonst sind auch die Probleme der Landwirtschaft so geballt ein Thema. Von Fragen des Tier- und Klimaschutzes, der Nachhaltigkeit und der Transformation bis hin zur Ernährungskrise, die sich durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verschärft hat. An jedem Landwirtschaftsminister wird während der Messe kräftig gezerrt, an einem Grünen zumal.

Özdemir selbst veranstaltet parallel das „Global Forum for Food and Agriculture“, kurz GFFA. Es ist ein agrarpolitisches Treffen vergleichbar mit dem der Wirtschaftslenker in Davos. Etwa 70 Agrarminister werden teilnehmen, zudem Vertreter internationaler Organisationen. Es geht um Bestandsaufnahmen und Perspektiven für eine krisenfeste Ernährung. Bis 2030 soll der weltweite Hunger laut UN eingedämmt sein, das sind nur noch acht Ernten.

Die Realität lässt jedoch nichts Gutes erahnen, denn derzeit steigt die Zahl der von Hunger betroffenen Menschen an. Weltweit waren 2021 über 800 Millionen betroffen; 46 Millionen mehr als 2020. „Es droht die größte globale Nahrungsmittelkrise seit dem Zweiten Weltkrieg“, warnte unlängst Özdemir. Global soll daher besser und vor allem anders kooperiert werden. Darüber wird bei der Konferenz verhandelt.

Hinter den Kulissen heißt es bereits, vor allem afrikanische Staaten seien nicht so leicht ins Boot zu holen. Die Vorbehalte gegen den Westen sind groß, ebenso die Abhängigkeiten von China und Russland sowie die Angst vor der Umverteilung von Geldern in Richtung Ukraine. Für Özdemir ist das Treffen daher ein diplomatischer Drahtseilakt; was er anbieten wird, ist offen. Genauso, ob es am Ende ein gemeinsames Kommuniqué geben wird. Russland wurde übrigens nicht eingeladen, China hat abgesagt.

Druck bekommt der Minister aber auch von der Straße. Denn wieder stattfinden wird in Berlin die Großdemonstration „Wir haben es satt“ für eine Agrar- und Ernährungswende. Liefen früher Grünen-Politiker mit, sind sie heute auch Ziel der Proteste; manch einer glaubt sogar, dass sich da bereits eine weitere Front aus der eigenen Klientel gegen die Partei aufbauen könnte. Die Demo habe nichts von ihrer Berechtigung verloren, so kürzlich einer der Organisatoren. Die Ampel müsse endlich ins Handeln kommen – und Özdemir vorangehen.

Bleibt noch die Opposition, die neben den unterschiedlichsten Verbänden anlässlich der Grünen Woche ebenso gerne laut trommelt. „Weniger schnelle Schlagzeilen und dafür mehr konkrete Ergebnisse - das muss sich Minister Özdemir für 2023 dringend zu Herzen nehmen“, sagt etwa Unions-Fraktionsvize Steffen Bilger. Anstatt der Nahrungsmittelproduktion in Krisenzeiten klar Vorrang einzuräumen, verliere sich Özdemir in Diskussionen über Mehrwertsteuersenkungen „auf Produkte vom grünen Speiseplan, wobei er doch weiß, dass er dafür nicht mal in seiner Koalition eine Mehrheit findet". Eine einfache Woche wird das für den Minister nicht.

(has)
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