Regierungserklärung der Kanzlerin im Sitzen Merkel: "Wir dürfen unsere Hände nicht in den Schoß legen"

Washington · Wohin will Kanzlerin Merkel mit der großen Koalition? In ihrer Regierungserklärung wirbt sie für weitere Reformen, kritisiert die USA scharf – und sieht eine "Herkulesaufgabe" in Deutschland. Die Rede selbst hielt sie wegen ihres Skiunfalls im Sitzen.

Angela Merkel betritt Bundestag auf Krücken
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Wohin will Kanzlerin Merkel mit der großen Koalition? In ihrer Regierungserklärung wirbt sie für weitere Reformen, kritisiert die USA scharf — und sieht eine "Herkulesaufgabe" in Deutschland. Die Rede selbst hielt sie wegen ihres Skiunfalls im Sitzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will Deutschland in den nächsten vier Jahren mit behutsamen Reformen weiter stärken. "Trotz aller Erfolge dürfen wir unsere Hände nicht in den Schoß legen", sagte sie am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung im Bundestag. Sie würdigte die soziale Marktwirtschaft als "Kompass" und betonte das Miteinander in Deutschland: "Nicht Partikularinteressen, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns."

Mit Blick auf die Abhöraffäre durch den US-Geheimdienst NSA kritisierte sie mit ungewöhnlich deutlichen Worten: "Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, bei dem alles, was technisch machbar ist, auch gemacht wird, verletzt Vertrauen, es sät Misstrauen." Am Ende gebe es nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Vertrauen sei der Kern der Zusammenarbeit. Dennoch warnte die Kanzlerin vor unüberlegten Schritten, wie dem Aus für das geplante Freihandelsabkommen. "Trotzhaltungen haben noch nie zum Erfolg geführt."

Absage an Steuererhöhungen

Als "Herkulesaufgabe" nannte sie das Meistern der Energiewende. "Es gibt kein weiteres vergleichbares Land auf der Welt, das eine solch radikale Veränderung seiner Energieversorgung anpackt." Bei der Steigerung des Ökostromanteils müsse der Strom für Bürger und Industrie bezahlbar bleiben.

Mit Blick auf die Euro-Krise mahnte sie: "Wir dürfen der trügerischen Ruhe jetzt nicht trauen." Die Krise bestimme zwar nicht mehr täglich die Schlagzeilen, aber: "Sie ist allenfalls unter Kontrolle, aber noch nicht dauerhaft überwunden", sagte Merkel, die wegen des Skiunfalls ihre Rede im Sitzen hielt. Notwendig seien eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie eine Stärkung der europäischen Institutionen. Die EU-Verträge müssten weiterentwickelt werden. Europa müsse "stabiler, bürgernäher und gerechter" werden.

Am 25. Mai findet die Europawahl statt. Union und SPD wollen aber trotz des nahenden Wahlkampfes ihre Arbeit in der großen Koalition nicht blockieren. Merkel war am 17. Dezember zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt worden - die Union hatte mit 41,5 Prozent die Bundestagswahl am 22. September klar gewonnen, brauchte aber einen Partner. .

Steuererhöhungen erteilte Merkel eine Absage. Die Politik müsse mit dem auskommen, was sie einnehme. Zudem will sie bei der stockenden Regulierung der Finanzmärkte Druck machen. Es müsse Fortschritte geben, die diesen Namen auch wirklich verdienten. Die Politik habe den Menschen versprochen, dass sich eine verheerende weltweite Finanzkrise wie 2008/2009 nicht wiederhole: "Wer ein Risiko eingeht, der haftet auch für die Verluste. Und nicht mehr der Steuerzahler." Deshalb müssten Finanzakteure durch eine Finanztransaktionssteuer zur Verantwortung gezogen werden.

"Von der sozialen Marktwirtschaft als Auslaufmodell spricht keiner mehr"

Die Kanzlerin sieht Deutschland dank wiedergewonnener Stärke als einen Motor in Europa. "Wir tragen maßgeblich dazu bei, dass die europäische Staatsschuldenkrise überwunden werden kann." Das liege ganz besonders am guten Zusammenspiel der Sozialpartner, zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. "Die soziale Marktwirtschaft ist unser Kompass." Deutschland gehe es so gut wie lange nicht mehr. Es gebe die höchste Beschäftigung seit der Wiedervereinigung. "Von der sozialen Marktwirtschaft als Auslaufmodell spricht keiner mehr. Vom kranken Mann Europas erst recht nicht mehr", betonte die Kanzlerin.

Sie verteidigte das Rentenpaket mit einer Ausweitung der Mütterrente und der Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren. "Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit Schwachen, ... wenn sie alt sind und wenn sie krank sind." Das Kabinett hatte zuvor die Rentenpläne von Sozialministerin Andrea Nahles (SPD)
gebilligt.

Die Regierung will zudem bis zum Sommer Vorschläge für eine Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen vorlegen. Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden müssten klarere Zuständigkeiten erhalten, betonte Merkel. Spätestens 2019 müssen die Finanzbeziehungen neu geregelt werde, weil dann der Solidarpakt II für den Aufbau Ost ausläuft.

(dpa)
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