Wirbel um NPD-Ortsvorsteher "Ich frage mich schon, gegen welche Wand die politischen Vertreter gelaufen sind“

Berlin · Nach der Wahl des NPD-Vizes in Hessen zum Ortsvorsteher wird seine Abwahl organisiert. Die demokratischen Parteien sind blamiert.

 Stefan Jagsch (NPD), Ortsvorsteher von Altenstadt-Waldsiedlung, steht vor dem Gemeinschaftshaus im Ortsteil, in dem er gewählt wurde.

Stefan Jagsch (NPD), Ortsvorsteher von Altenstadt-Waldsiedlung, steht vor dem Gemeinschaftshaus im Ortsteil, in dem er gewählt wurde.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Wenn im hessischen Altenstadt, Ortsteil Waldsiedlung, der Ortsbeirat den Ortsvorsteher wählt, interessiert das normalerweise allenfalls einen Teil der 2600 Einwohner. Wenn es aber außer dem NPD-Kandidaten keinen anderen Bewerber gibt und dieser wegen seiner guten Internetkenntnisse und seiner ruhigen Art gewählt wird, ist der Schrecken groß. Und wenn dann noch klar wird, dass Stefan Jagsch, stellvertretender hessischer NPD-Vorsitzender, einstimmig - also mit Hilfe der CDU-, SPD- und FDP-Vertreter – zum Ortsvorsteher gemacht wurde, erreichen die Schockwellen auch Bundesparteispitzen.

Mit Entsetzen reagierten CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und die Generalsekretäre der drei Parteien und spielten ihre Empörung zurück nach Altenstadt. Dort sollen CDU, SPD und FDP nun mit einem gemeinsamen Antrag Jagschs Abwahl erreichen, teilt die CDU-Kreisvorsitzende und hessische Europaministerin, Lucia Puttrich, am Montag der Deutschen Presse-Agentur mit. Kleiner Ort, großes Drama.

Die Betroffenen wie CDU-Ortsbeiratsmitglied Norbert Szielasko waren sich offensichtlich nicht bewusst, was sie ausgelöst haben. Jagsch sei kollegial und in Waldsiedlung gehe es nicht um Parteien, sondern um Politik für die Menschen, hieß es. Dass es eine Erschütterung ist, wenn in einer Demokratie ein Mitglied einer Partei in ein politisches Amt gewählt wird, die als verfassungsfeindlich, also als Gegnerin der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eingestuft ist, haben die Ortsbeiratsmitglieder nicht erkannt. Das wirft Fragen nach der Führung der drei Parteien auf.

Der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth, der seinen Wahlkreis im nordhessischen Hersfeld-Rotenburg und Werra-Meißner-Kreis hat und für den SPD-Vorsitz kandidiert, sagt, nirgendwo in Deutschland dürfe ein „Nazi“ in verantwortungsvoller Position sein. Er warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen. „Wer jetzt den Stab über die ehrenamtlich tätigen Politiker in Altenstadt bricht, macht es sich zu einfach. Vorschnelle Urteile schrecken nur noch mehr Menschen ab, sich in der Kommunalpolitik ehrenamtlich zu engagieren.“ Kommunalpolitiker dürften nicht allein gelassen werden. Gerade in digitalen Foren und sozialen Netzwerken würden sie oft hart angegangen, beleidigt und bedroht. „Sie brauchen Anlaufstellen und teils juristische Unterstützung, um damit umgehen zu können.“

Nun müssen sie sich in Altenstadt-Waldsiedlung aber erst einmal um die Abwahl von Jagsch kümmern. Der Vorsitzende eines Ortsbeirats in Hessen kann mit Zwei-Drittel-Mehrheit der Gremiumsmitglieder abberufen werden. Der Ortsbeiratsvorsitzende ist demnach verpflichtet, die Abberufung auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen, wenn der entsprechende Antrag von einem Viertel der Ortsbeiratsmitglieder unterzeichnet wird. Der Ortsbeirat in Waldsiedlung hat neun Sitze, bei der Wahl von Jagsch waren sieben Vertreter anwesend. CDU, SPD und FDP haben zusammen acht Sitze.

Puttrich sagt, den Beteiligten sei durch die zahlreichen Reaktionen in aller Härte und Schärfe bewusst geworden, welchen Fehler sie gemacht hätten. Diese Arglosigkeit sei schockierend. Die Berliner Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp meint: „Man kann ein solches, letztlich parteischädigendes Verhalten von CDU, SPD und FDP wohl nur durch kleinräumige soziale Verbindungen und eine unfassbare Blauäugigkeit erklären. Nichtsdestotrotz ist es eine Blamage für die etablierten demokratischen Parteien.“

Dass außer Jagsch niemand kandidieren wollte, ist für FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg ein Alarmsignal: „Es muss grundsätzlich zu denken geben, dass zwar immer mehr Menschen unser demokratisches Gemeinwesen kritisieren, sich aber zugleich offenbar immer weniger Demokraten finden, die bereit sind, sich dafür vor Ort zu engagieren.“ Sie ist fassungslos über den Vorgang. „Verfassungsfeinde zu wählen ist mit den Werten der Freien Demokraten nicht vereinbar.“ Sie weist darauf hin, dass zwar auch im Namen der FDP in dem Ortsbeirat für den NPD-Kandidaten gestimmt worden sei, aber keine FDP-Mitgliedschaft vorliege. Die beiden Vertreter seien als Parteilose über die FDP-Liste in das Kommunalparlament gekommen. Deshalb könne es für die auch keine Konsequenzen wie ein Parteiausschlussverfahren geben. Anders bei der CDU. Die NRW-Staatssekretärin für Integrationsfragen, Serap Güler, eine Frau der starken Worte, sagt: „Solche falschverstandenen Demokraten sind für mich als Parteimitglied der CDU untragbar.“ Ein Tabu sei gebrochen worden. „Niemals darf so jemand durch die Stimmen von demokratischen Parteien ein Mandat bekommen. Das Verhalten der Funktionsträger in Altenstadt ist verantwortungslos.“ Güler: „Ich frage mich schon, gegen welche Wand die politischen Vertreter der CDU, SPD und der FDP gelaufen sind, um so eine Wahl zu treffen.“

(jd/kd/may-)
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