Kolumne: Berliner Republik Die Kann-Bruchstelle der Groko

Lange war für die SPD kein Anlass in Sicht, um den Bürgern einen Bruch mit dem Koalitionspartner verkaufen zu können. Jetzt ist er da: die neuen haarsträubenden Erkenntnisse über den NSA-Skandal.

Die SPD ist nicht nur in der großen Koalition, sondern auch in einem großen Dilemma. Nach menschlichem Ermessen hat sie bei der Bundestagswahl 2017 keine Chance gegen Angela Merkel. So hat die SPD wohl nur die Chance, die seinerzeit die FDP eiskalt ergriff, als sie 1982 der SPD die Zusammenarbeit faktisch aufkündigte und Kanzler Helmut Schmidt zwang, das Handtuch zu werfen.

Für so ein Manöver braucht man aber einen überzeugenden Grund. Die Kann-Bruchstelle einer Koalition muss so markiert sein, dass der Anlass das strategische Ziel rechtfertigt. Lange war weit und breit kein solcher Anlass in Sicht, mit dem man nicht Gefahr läuft, bei einer Wahl für den Bruch abgestraft zu werden. Jetzt ist er da: die neuen Erkenntnisse über den NSA-Skandal. Schon bisher sprengte dieser monströse Abhörfall unter Partnerstaaten jede Vorstellung. Sogar die der Kanzlerin, der deshalb der Satz "Abhören unter Freunden, das geht gar nicht" entfleucht ist. Nun belegen Dokumente, dass das Kanzleramt schon 2008 seitens des BND darüber informiert war, dass die US-Geheimdienste eben jenen BND dafür instrumentalisierten oder instrumentalisieren wollten, deutsche und europäische Rüstungskonzerne auszuspähen. Damit hat der Skandal eine neue Dimension. Und politisch führt die Spur jetzt bis ins Nebenzimmer Merkels im Kanzleramt - eine ideale Kann-Bruchstelle für die SPD, weshalb sie auch schon beginnt, darauf einzuschlagen.

Hinzu kommt, dass die Schlüsselfigur Thomas de Maizière heißt. Als Kanzleramtschef war er zuständig für die Geheimdienste. Ideal aus der Sicht der SPD, weil de Maizière im Moment ohnehin das Gegenteil eines Laufs hat und die beste Verbündete der SPD hinter den gegnerischen Linien agiert. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat aus sachlichen Gründen und möglichen strategisch-individuellen Konkurrenzerwägungen ihren Kollegen de Maizière bereits hinreichend geschwächt. Stichworte sind die Drohne "Euro Hawk" und das G 36.

Wer sich eine Kann-Bruchstelle ausguckt, der muss sich auch fragen, was danach passiert. Auch in dieser Hinsicht ist der Fall NSA ideal. Denn die SPD kann mit Rot-Rot-Grün eine Mehrheit im Bundestag stellen. Dazu liegt das Freihandelsabkommen TTIP als transatlantisches Reizthema in der Luft. Und geradeheraus gesagt: Mit Antiamerikanismus hat die SPD schon einmal erfolgreich Wahlkampf gemacht. Alles recht kühn überlegt. Aber es lohnt sich, wach zu sein.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des Magazins "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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