Kolumne: Berliner Republik Deutschland ist nicht an allem schuld

Der "Schuldkult" vergangener Wochen hin oder her: Für die Lage in Griechenland, die Ukraine-Krise und den islamistischen Terror können wir Deutschen nichts.

Kolumne: Berliner Republik: Deutschland ist nicht an allem schuld
Foto: Phil Ninh

In den großen Debatten dieser Tage gibt es, so unterschiedlich sie sind, ein verbindendes Element. Bei Griechenland, Putin und dem Islamismus geht es schnell darum, welche Schuld bei uns liegen könnte. Selbst bei noch so klarer Lage (Griechenland hat jahrzehntelang mit seinen Finanzen geschludert, Putin hat die Krim völkerrechtswidrig annektiert, islamistische Terroristen morden im Namen einer Religion) wird der eigene Anteil an der Misere gesucht: Hat der Westen den russischen Bären nicht über Gebühr gereizt? Macht Deutschland nicht Reibach, wenn es Griechenland knechtet? Wehrt sich der Islamist nicht gegen die hegemoniale Unterdrückung des Westens? All diese Argumente beinhalten ein Gran an Berechtigung. Nie ist eine Sache oder eine Seite allein an etwas schuld. Wechselwirkungen gibt es immer. Aber die Dimensionen stimmen nicht.

Das Schuldgefühl, sagt das Lexikon, sei "eine normalerweise als negativ wahrgenommene soziale Emotion, welche aus der bewussten oder unbewussten Überzeugung, etwas Falsches getan zu haben, entsteht". Der Zweifel ist ebenfalls ein naher Verwandter des Schuldgefühls. Er ist Wesenskern unserer westlichen Kultur. Die Fähigkeit und Möglichkeit, immer alles infrage zu stellen, nichts als gegeben zu erachten, unterscheidet eine offene, plurale Gesellschaft von einer gelenkten und unfreien. Der grüblerische Geist der Deutschen ist im Ausland berühmt-berüchtigt. Die Neigung, sich im Zweifel lieber etwas kleiner zu machen als zu groß ebenso.

Und dann gibt es noch die unauslöschliche Großschuld, die Deutschland von 1914 bis 1945 auf sich geladen hat. Die Schuld an zwei Kriegen, die Schuld an Millionen Toten auf Schlachtfeldern und in Konzentrationslagern. Das ist eine Schuld, die nicht vergehen wird, an der es nichts zu rütteln gibt, von der die Zeit nichts abschleift. Deutschlands inzwischen guter Ruf in der Welt geht nicht zuletzt darauf zurück, dass anerkannt wird, wie dieses Land bereit ist, diese Schuld zu tragen.

In den vergangenen Wochen ist in diesem Zusammenhang ein Kampfbegriff geprägt worden. Der "Schuldkult". Wer dieses Wort verwendet, bestätigt diese Überlegungen nicht. Er pervertiert sie. Denn diese Wortschöpfung ist der maliziöse Versuch, sich zu exkulpieren. Von aktueller Schuld, und von früherer am besten gleich mit.

Deshalb zur Klarstellung: Wir waren schuld. Wir sind oft schuld. Und wir werden auch weiterhin schuld sein. Aber wir sind nicht automatisch immer in erster Linie schuld. Für die Lage in Griechenland, die Ukraine-Krise und den islamistischen Terror können wir jedenfalls nichts.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des Magazins "Cicero" und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperation.. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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