Rainer Brüderle im Interview "Die FDP ist vertragstreu"

Berlin · Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle über die Autorität von Parteichef Philipp Rösler, den bevorstehenden Kompromiss in der Koalition beim Betreuungsgeld – und die Frage, warum europäische Beamte Griechenland beim Aufbau einer effizienten Verwaltung helfen sollten.

April 2012: Rainer Brüderle rockt den FDP-Parteitag
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Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle über die Autorität von Parteichef Philipp Rösler, den bevorstehenden Kompromiss in der Koalition beim Betreuungsgeld — und die Frage, warum europäische Beamte Griechenland beim Aufbau einer effizienten Verwaltung helfen sollten.

Umfragen sehen die FDP bei drei bis vier Prozent. Da waren Sie vor eineinhalb Jahren auch schon, als Guido Westerwelle abgelöst wurde. Wie lange hält die FDP solche Umfragen aus?

Brüderle Das ist nicht schön, und wir wissen, dass die Lage schwierig ist. Aber es zählt die Umfrage am Wahltag. Und ich bin überzeugt, dass eine glaubwürdige und seriöse Arbeit an den Brot-und-Butter-Themen wie soziale Marktwirtschaft, Bildung, Geldwertstabilität die FDP wieder nach oben bringt.

Das predigen Sie seit Jahren. Es zahlt sich offenbar nicht aus.

Brüderle Mit genau diesen Themen hat die FDP in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr starke Ergebnisse erzielt. Und es wird sich auszahlen, wenn das auch bei der Bundestagswahl unsere zentralen Themen sind. Dafür kämpfe ich.

Der Personalwechsel zu Philipp Rösler hat sich bisher nicht ausgezahlt.

Brüderle Ich bin sicher: Wir werden bis zur Bundestagswahl noch zulegen. Aber die FDP hat in Schleswig-Holstein und in NRW gezeigt, dass sie am Wahltag trotz schlechter Umfragen gute Ergebnisse erzielen kann. Es geht also.

Genießt Philipp Rösler noch ausreichend Autorität in dieser Koalition?

Brüderle Ja. Der Koalitionspartner, allen voran Frau Merkel, schätzt Philipp Rösler. Und wir unterstützen ihn. Denn es gilt der alte Satz von Hans-Dietrich Genscher: Parteivorsitzende stützt oder stürzt man. Wir stützen Philipp Rösler.

Man hatte in den vergangenen Wochen nicht immer das Gefühl, dass Sie und Herr Rösler sich abstimmen.

Brüderle Das trügt. Wir stimmen uns ab.

Der Parteichef hat in einem Interview das Betreuungsgeld abgelehnt, Sie signalisieren nun Zustimmung.

Brüderle Ich habe das gesagt, was ich seit Wochen sage. Wir sind vertragstreu. Das Betreuungsgeld wurde vereinbart, über die genaue Ausgestaltung müssen wir reden. Aber es wurden auch andere Dinge im Koalitionsvertrag vereinbart, etwa ein Veto gegen einen flächendeckenden Mindestlohn und Haushaltskonsolidierung. Daran werden wir erinnern. Das Betreuungsgeld muss vernünftig ausgestaltet werden. Deshalb sind wir für eine Bildungskomponente für Kinder.

Es ist doch offensichtlich, dass im Koalitionsausschuss ein Kuhhandel gemacht werden soll nach der Devise: Ihr bekommt die Abschaffung der Praxisgebühr, wir das Betreuungsgeld. Gewinnt eine Koalition so Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung?

Brüderle So ist es nicht. Es gibt natürlich unterschiedliche Akzente und Interessen in einer Koalition. Aber wir werden über jedes Projekt einzeln diskutieren und entscheiden. Jeder Einzelpunkt muss in sich sachlich stimmig sein. Jeder Partner muss sich aber in der Koalition wiederfinden und ein Herzensanliegen nach Hause tragen können. Das ist kein Kuhhandel, das ist in einer Demokratie der legitime Ausgleich von Interessen.

Die CSU will lieber die Krankenkassenbeiträge senken, als die Praxisgebühr abzuschaffen.

Brüderle Entscheidend ist, dass die Krankenkassen nicht zu Sparkassen werden. Es ist auch eine Kombination der beiden Vorschläge denkbar. Die Abschaffung der Praxisgebühr bringt je nach Berechnung 1,5 bis zwei Milliarden Euro. Vorstellbar wäre eine Entlastung der Kassenpatienten um drei Milliarden Euro, indem diese Koalition gleichzeitig die Beiträge absenkt. Die Überschüsse in der Krankenversicherung sind groß genug, um ein solches Entlastungspaket vertreten zu können.

Ist der Koalitionsausschuss die letzte Chance für ein Signal der Handlungsfähigkeit dieser Koalition?

Brüderle Wir werden bis Weihnachten alle strittigen Fragen klären und dann die Vereinbarungen umsetzen. Wir werden die Zeit bis zur Bundestagswahl weiter gut nutzen.

Die Euro-Krise dominiert die politische Agenda. Griechenland soll mehr Zeit für die Reformen bekommen, dabei ist der Bericht der Troika noch gar nicht fertig. Ist die Prüfung eine Farce?

Brüderle Nein, es ist noch keine Entscheidung gefallen. Die Troika besteht aus unabhängigen Prüfern, die gewissenhaft arbeiten und einen ehrlichen Bericht vorlegen werden. Danach entscheiden wir.

Sie haben doch selbst schon angedeutet, dass es mehr Zeit geben kann.

Brüderle Entscheidend ist, dass Griechenland zunächst seine Reformen glaubhaft umsetzt. Und das muss die Troika erst mal feststellen, bevor wir über veränderte Bedingungen reden. Wenn die griechische Regierung wesentliche von der Troika auferlegte Reformvorhaben beschließt und diese ernsthaft angeht, können wir gegebenenfalls über einen überschaubaren Zeitaufschub für das Erreichen der Defizitziele reden.

Die Steuerverwaltung ist schwach, die Privatisierungen kommen nicht voran. Wieso sollen die Deutschen der griechischen Regierung trauen?

Brüderle Die Aufgabe, vor der die Griechen stehen, ist tatsächlich gewaltig. Die EU ist bereit zu helfen. Es wird diskutiert, europäische Beamte für eine bestimmte Zeit nach Athen zu entsenden, die dem Land beim Aufbau einer effizienten Steuerverwaltung helfen. Das finde ich richtig, denn nur durch gute Investitionsbedingungen können die tiefgreifenden Probleme des Landes gelöst werden.

Michael Bröcker führte das Gespräch.

(brö)
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