Berliner Bühne Das Ende der politischen Reformen

Berlin · Zehn Jahre nach Gerhard Schröders Rede zur "Agenda 2010" ist der SPD nicht nach Feiern zumute. Reformen haben es in der Populärrepublik Deutschland schwer. Selbst, wenn sie erfolgreich sind. Warum nur?

Die SPD liebt ihre Historie. Der Widerstand der Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz 1933, die Friedens- und Ostpolitik von Willy Brandt. Belege dafür, dass die Partei, wie es ihr Chef Sigmar Gabriel neulich kundtat, "meistens auf der richtigen Seite der Geschichte stand".

Auch deswegen feiern die Sozialdemokraten ihr Jubiläumsjahr zum 150-jährigen Bestehen mit ebenso vielen Veranstaltungen. Nur die "Agenda 2010" spielt in der Glanz- und Gloria-Rückschau keine Rolle. Zwar darf Altkanzler Gerhard Schröder, der für die Reformen sein Amt riskierte, demnächst in der Bundestagsfraktion sprechen. Danach gibt es auch noch eine Pressekonferenz. Das war's dann aber auch.

Die Agenda "Zwanzigzehn" gehört nicht zum Lieblingsvokabular der Genossen. Die SPD schämt sich ihres eigenen Erfolgs. Paradox. Denn die Reformen werden international gelobt — ein echter Exportschlager. Der überfällige Mentalitätswandel im festgefahrenen Transfersystem gilt als Wegbereiter für die robuste wirtschaftliche Lage heute. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief, seit 2005 wurden zwei Millionen neue sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen. Eigentlich müsste die SPD mit Pauken und Trompeten zur großen Feier vor Gerhard Schröders Haus einladen und die Banner der Reformpartei ausrollen. Motto: "Der Aufschwung gehört uns!"

Nichts davon. Das liegt zum einen Teil am schlechten Gewissen der Genossen, weil die Reformen soziale Härten (und eine Linkspartei) mit sich brachten. Es ist zugleich ein breites politisches Phänomen, das sich in den letzten Jahren festgenistet hat. Reformen sind unerwünscht. Die Wohlfühl-Rhetoriker, die Wählerstimmenmaximierer haben Oberwasser. Auch in der Union, wie die Beschlüsse zur Zuschussrente, zum Betreuungsgeld und zum Mindestlohn zeigen. Verteilen statt Verzicht. Wir ham's ja.

Das könnte sich rächen. Die ökonomische Gutwetterlage könnte bald vorüber sein und neue Wolken aufziehen. So sieht es zumindest eine Studie des Mannheimer Zentrums für Wirtschaftsforschung. Der Reformbedarf sei immens, heißt es. Die demografische Entwicklung erzwingt neue Systeme der Gesundheitsfinanzierung und der Altersvorsorge. Pensionslasten erdrücken die Länderhaushalte, der Föderalismus verhindert Bildungschancen, mangelhafte Zuwanderungspolitik blockiert Wachstum. Und so weiter.

Fazit: Die Politik müsste gerade jetzt eine neue Agenda vorlegen. In den bisherigen Entwürfen der Wahlprogramme spielt das Wort Reform indes parteiübergreifend keine Rolle. In ein paar Jahren dürfte dafür dann ein anderes wieder auftauchen: "Reformstau".

(brö)
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