Neubelebung der Beitrittsgespräche Kanzlerin auf heikler Türkei-Mission

Kahramanmaras · Angela Merkel ist zu einem zweitägigen Besuch in der Türkei eingetroffen. Dabei muss sich die Regierungschefin auf schwierige Gespräche gefasst machen: Ankara ist wegen der festgefahrenen EU-Beitrittsverhandlungen verärgert.

Erst Thomas de Maizière, dann Angela Merkel und am Mittwoch auch noch SPD-Chef Sigmar Gabriel: Die Reisewelle deutscher Spitzenpolitiker in die Türkei und der erste Einsatz von Bundeswehr-Soldaten auf türkischem Staatsgebiet wären eigentlich gut geeignet, um die enge Partnerschaft der Länder ausgiebig zu feiern. Doch unter der hübschen Oberfläche zeigt sich ein fragiles Verhältnis in den deutsch-türkischen Beziehungen.

Es sei stets dieselbe Frage, die Türken ihr stellten, erzählt eine türkischstämmige Mitarbeiterin der deutschen Botschaft an diesem Freitagabend in einem Hotel in Adana. "Warum wollt ihr uns nicht?", laute die Frage. Warum würden ausgerechnet die vermeintlichen deutschen Freunde den EU-Beitritt der Türkei so scharf ausbremsen? "Das ist das beherrschende Thema bei jedem Empfang, bei jeder Diskussionsrunde, zu der ich gehe", sagt die Mitarbeiterin, die seit mehr als zehn Jahren Deutschland in der Türkei vertritt.

Die Frage einer EU-Mitgliedschaft für das mehrheitlich muslimische 74-Millionen-Einwohner-Land am Mittelmeer rückt mit den Reisen der deutschen Spitzenpolitiker erneut kraftvoll in den Vordergrund. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) spürt dies als Erster bereits kurz nach seiner Ankunft am vergangenen Freitag. Die Zustimmung der türkischen Bevölkerung zum EU-Beitritt sei in einem Jahr von 80 Prozent auf 50 Prozent abgesackt, erzählt ihm sein türkischer Amtskollege Ismet Yilmaz. Gefragt nach dem Verhältnis zu Deutschland, ist von "Enttäuschungen" in der türkischen Delegation die Rede.

Kanzlerin Angela Merkel, die schon lange die Türkei-Reise geplant hatte und zum dritten Mal als Regierungschefin in das Land reist, dürfte nach ihrer Ankunft gestern Nachmittag eine ähnliche Stimmung vorgefunden haben. Zwar hatte die Regierungschefin rechtzeitig vor ihrer Abreise per Videobotschaft eine Neubelebung der Beitrittsgespräche in Aussicht gestellt. Doch so richtig glaubt ihr das in der Türkei keiner. Es war die CDU-Chefin, die einst die Formel der "privilegierten Partnerschaft" Deutschlands mit der Türkei erfand. Das sei nur eine Chiffre, um die Türkei aus der EU zu halten, wird in der türkischen Presse über diese Formel gemutmaßt.

Thomas de Maizière, eher ein gemäßigter CDU-Politiker in der Türkei-Frage, war eigentlich mit seiner niederländischen Amtskollegin Jeanine Hennis-Plasschaert in die Türkei gereist, um die Soldaten zu besuchen, die im Auftrag der Nato mit Raketenabwehrsystemen (Typ "Patriot") den Süden des Landes vor syrischen Raketen schützen sollen. 300 Bundeswehr-Soldaten sind in Kahramanmaras stationiert, 120 Kilometer nördlich der syrischen Grenze. Die Niederlande haben in der Nähe ihre "Patriots" stationiert. Eine Mission "rein defensiver Art", betont der Minister bei einem Rundgang durch die Gazi-Kaserne. Es gehe um Abschreckung. In Sekundenschnelle können die Patriot-Raketen vom Typ "PAC 3" feindliche Geschosse per Radar orten und in der Luft zerstören. Die Türkei hatte die Nato Ende 2012 um Hilfe gebeten, nachdem syrische Granaten türkischen Boden erreichten. Die Bedrohungslage sei aber "gering", sagt de Maizière. Der Einsatz werde so lange dauern wie nötig, ergänzt er. Im Klartext heißt das wohl: bis das Assad-Regime gestürzt ist.

Öffentlich ist in den Stellungnahmen der Verteidigungsminister an diesem Tag viel von Partnerschaft und Solidarität die Rede. Die Deutschen seien willkommen, sagt der türkische Minister Yilmaz. Das stimmt indes nur bedingt. Die örtliche Bevölkerung begegnet dem Einsatz ablehnend. Nur in Dreiergruppen, in Zivil und innerhalb eines abgesteckten zwei Quadratkilometer großen Areals dürfen sich die deutschen Soldaten aufhalten. Aus Sicherheitsgründen. Kürzlich hatten linksnationalistische Aktivisten zwei Deutsche angegriffen. Auch in der Zusammenarbeit zwischen den Truppen hakt es. Während die deutschen Raketen seit 30 Tagen einsatzbereit auf einem Hügel stehen, wurden die Unterkünfte für die Gäste erst am Vorabend des Ministerbesuchs fertig. Schimmel hatte einen Einzug verhindert. Die schnelle Internetverbindung der türkischen Kollegen im Lagezentrum steht den Deutschen nicht zur Verfügung.

Merkel lobt dagegen bei den "Patriot"-Besatzungen den Nato-Partner Türkei, der viel für das Militärbündnis getan habe. Nun sei es an der Zeit, etwas zurückzugeben. Es tue gut, um die Sicherheit, Verlässlichkeit, das Vertrauen und das Füreinandereinstehen der Bündnispartner zu wissen. Und dann sagt sie den deutschen Soldaten in Kahramanmaras, dass diese durch ihren Einsatz auch an ganz anderer Stelle dazu beitragen könnten, dass sich Deutschland und die Türkei besser verstehen. "Dabei wünsche ich Ihnen eine kluge Hand." Sie meint damit nicht weniger als eine Verbesserung des Klimas in Europa.

(brö)
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