Berliner Bühne Clinton adelt Kohl

Ohne Superlative geht es bei Amerikanern nicht. Bill Clinton kann sie besonders gut, wie er bei der Verleihung des Henry-Kissinger-Preises an seinen Freund Helmut Kohl eindrucksvoll bestätigt. Ein Einblick in die deutsch-amerikanischen Beziehungen, die ein wenig ermattet wirken.

Alle außenpolitischen Entscheidungen, die er im Nachhinein als richtig betrachte, so doziert Ex-US-Präsident Bill Clinton vor 600 Gästen in der American Academy in Berlin, habe er so getroffen, wie es Helmut Kohl geraten oder vorgemacht habe. "Alles was ich tun musste, war Helmut zu folgen", sagt Clinton. Als Beispiele nennt der 64-Jährige mit dem vollen, silberfarbenen Haar die Nato-Politik, die Hilfspakete für Russland, die Integration der EU und das beherzte Eingreifen bei der Balkan-Krise. "Helmut Kohl hat alle Fragen korrekt beantwortet", sagt Clinton. Der Altkanzler in der ersten Reihe kann seine Rührung kaum verbergen. Kohl sei der "bedeutendste europäische Staatsmann der Nachkriegsgeschichte", setzt Clinton noch einen drauf. Dann erzählt er noch, dass seine Frau, Außenministerin Hillary Clinton, immer gewitzelt habe, dass er sich mit Helmut Kohl doch nur deshalb so gut verstehe, weil der noch mehr Appetit habe als er selbst. Lacher in den Rängen.

Kohl als "großer Führer"

Es ist großes deutsch-amerikanisches Kino, das die American Academy an diesem regnerischen Abend am Wannsee auf die Beine gestellt hat. Seit 2007 vergibt die Akademie, die sich als Forum für den kulturellen und politischen Austausch zwischen den Ländern versteht, den Preis für transatlantisches Engagement in der Politik. Der Namensgeber, der deutschstämmige Ex-US-Außenminister Henry Kissinger, ist ebenfalls da. Er lobt Kohl beim Abendessen in bestem Deutsch als "großen Führer" und "engen Freund".

Bob Zoellick, der Weltbankchef, erinnert in seiner Ansprache an Kohls Visionen und Hartnäckigkeit bei der deutschen Einheit und schlägt einen "ausgeprägten Platz in der Geschichte" für ihn vor. Es ist ein Feuerwerk an Lobeshymnen für den in der Heimat so kritisch betrachteten Altkanzler. Kohl genießt es. Kanzlerin Merkel und ihr Vize Philipp Rösler, die ebenfalls in der ersten Reihe sitzen, werden von den meisten Rednern in der Begrüßung glatt vergessen.

Auch Helmut Kohl, der nach einem schweren Sturz vor zwei Jahren im Rollstuhl sitzt und nur mühevoll sprechen kann, erwähnt in seiner Dankesrede Merkel nicht. Versteckte Kritik lässt sich in fast jeder Äußerung finden. Was die Europa-Politik betreffe, lese er jeden Tag neue Negativ-Schlagzeilen, kritisiert Kohl. "Aber wir müssen an die Zukunft glauben. Wir müssen unseren Weg gehen, mit den Griechen, auch wenn uns das etwas kostet."

Kohl, dem überzeugten Europäer, fehlt es an europäischem Engagement und Leidenschaft in der Bundesregierung. Der 81-Jährige erinnert an das Erreichte, ein freies Deutschland in festen Bündnissen. "Wir sind wieder mitten in der Welt", sagt Kohl. Dass sei "eine wunderbare Sache". Die Zukunft dürfe keine "deutsche Zukunft" sein, sondern eine an der Seite "unserer Nachbarn". Dazu zähle er die USA. Kohlscher Pathos. Vor allem die amerikanischen Gäste klatschen laut.

Ein Klassentreffen alter, grauer Männer

Es ist ein Abend der Anekdoten und der Rückschau. Beim Abendessen, hatte sich ein kleiner deutsch-amerikanischer Freundeskreis um Kohl versammelt. Ein Club der Ehemaligen. Clinton, Kissinger, Altbundespräsident Horst Köhler und seine Frau Eva-Luise, Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher und der frühere US-Botschafter John Kornblum. Neue Gesichter, die die deutsch-amerikanischen Beziehungen repräsentieren, sind nicht zu sehen. Wirtschaftsführer wie Siemens-Lenker Heinrich von Pierer und BASF-Chef Jürgen Hambrecht sind auch da, dazu der abgewählte CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers oder Ex-Kohl-Berater Horst Teltschik. Die Gästeschar, sie ist alt und grau. Wie ein Klassentreffen, 30 Jahre nach dem Abitur. Kanzlerin Merkel und ihr Vizekanzler Philipp Rösler sind jedenfalls rasch wieder weg.

Was also ist die Zukunft für die Transatlantiker? In zwei Wochen fliegt Merkel nach Washington, um aus dern Händen von US-Präsident Barack Obama die Freiheitsmedaille zu erhalten. Wieder werden schöne Worte fallen. Und doch wird es hinter der Bühne um mehr deutsche Truppen für Afghanistan, mehr Geld für die Euro-Rettung gehen. Weinselige Anekdoten alter Männerfreunde sind nicht zu erwarten. Die Emotionen in den deutsch-amerikanischen Beziehungen sind einer professionellen Nüchternheit gewichen. Das muss nicht zwingend schlecht sein.

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