Laschet versus Söder Kanzlerkandidaturen wurden immer im Zweikampf entschieden

Analyse · Ob Franz Josef Strauß gegen Helmut Kohl, Edmund Stoiber gegen Angela Merkel oder Gerhard Schröder gegen Oskar Lafontaine, Streit um die Kanzlerkandidaturen hat es in der Bundesrepublik immer gegeben – nicht nur innerhalb der Union. Ohne Trickserei, Hauen und Stechen ging es eigentlich nie.

 Das Lächeln trügt.

Das Lächeln trügt.

Foto: picture-alliance / Sven Simon/Sven Simon

Der Machtkampf um die Kanzlerkandidatur zwischen CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder scheint die Union gerade auf eine harte Probe zu stellen. Von Sticheleien bis hin zur Feldschlacht ist die Rede – dabei haben die Schwesterparteien schon ganz andere Zeiten hinter sich. Um das Spitzenamt wurde in der Geschichte der Bundesrepublik immer mit harten Bandagen gekämpft, nicht nur hinter den Kulissen wie bei Söder und Laschet, die auf offener Bühne stets von freundschaftlichem Austausch in der „Unionsfamilie“ sprechen. Auch die SPD war in historische Duelle involviert und nicht immer ging es gut aus für den jeweils gekürten Kanzlerkandidaten.

Besonders spannend wurde es immer dann, wenn die SPD an der Macht war und die Union einen Herausforderer an den Start bringen musste. Den Bundestagswahlen von 1976 und 1980 etwa gingen harte Wahlkämpfe voraus, die sich – genau wie heute – vor allem zwischen dem CSU-Chef und dem CDU-Vorsitzenden abspielte. Franz Josef Strauß, damals auch bayerischer Ministerpräsident, machte nie einen Hehl daraus, die Kanzlerkandidatur innerhalb der Union für sich entscheiden zu wollen und scheute nicht davor zurück, seinen Rivalen auch vor einem größeren Publikum zu diskreditieren. „Helmut Kohl wird nie Kanzler werden, er ist total unfähig. Ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür“, polterte Strauß schon im November 1976 vor dem Landesausschuss der Jungen Union Bayern – ein paar Wochen, nachdem Kohl gegen Helmut Schmidt (SPD) die Bundestagswahl nur knapp verloren hatte. Dafür, dass Kohl nur sechs Sitze gefehlt hatten, hatte Strauß nicht etwa lobende Worte übrig, im Gegenteil. Er hätte die sechs Sitze geschafft, war sein Kommentar. Die Stimmung in der Union erreichte im gleichen Jahr ihren Tiefpunkt mit dem legendären Beschluss von Kreuth, in dem die CSU die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigte, um sie allerdings drei Wochen später wieder zu erneuern.

Entschieden wurde das Duell zwischen dem taktierenden Pfälzer und dem impulsiven Bayer dann vier Jahre später. Während Strauß an seinem Machtanspruch festhielt (“Es ist mir egal, wer unter mir Bundeskanzler wird.“), gab Kohl mitten im Showdown nach – und verzichtete auf die Kanzlerkandidatur. Strauß, dessen Klugheit oft von seinem überbordenden Selbstbewusstsein konterkariert wurde, ließ sich aufstellen. Auf CDU-Seite bewarb sich der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht, der Vater der heutigen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Albrecht unterlag bei der Wahl in der Unionsfraktion des Bundestags 1979, obwohl er von Kohl unterstützt wurde. Es folgte ein bemerkenswert scharfer Wahlkampf zwischen Strauß und dem SPD-Kanzler Schmidt. „Strauß war ein wilder Stier, der alle Gatter durchbrechen wollte“, schrieben die Zeitungen. Sein aggressiv-egozentrisch geführter Wahlkampf scheiterte aber.

Die überhitzte Stimmung gipfelte in dem SPD-Wahlkampf-Slogan „Stoppt Strauß“, der sich selbst wiederum mit dem Satz „Kanzler für Frieden und Freiheit“ auf CDU-Plakaten bewerben ließ. Die breite Wählerschaft aber konnten letztlich die Sozialdemokraten hinter sich versammeln – und mit 42,9 Prozent ihr zweitbestes Bundestagswahlergebnis aller Zeiten einfahren. Strauß scheiterte und fuhr mit 44,5 Prozent ein noch schlechteres Ergebnis ein als Kohl vier Jahre zuvor (48,6 Prozent). Zähneknirschend zog sich der CSU-Mann von Bonn nach Bayern zurück, wo er 1988 verstarb. Dass Kohl seine Trauerrede hielt, hätte ihm womöglich genauso missfallen wie die Tatsache, dass sein 15 Jahre jüngerer Rivale als langjähriger Kanzler der Einheit in die Geschichtsbücher einging.

Mehr als 20 Jahre nach der Strauß-Kohl-Ära befanden sich CDU und CSU mit der neuen Parteivorsitzenden Angela Merkel in einer ähnlichen Lage: Es galt, den populären SPD-Kanzler Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl 2002 zu stürzen. Merkel, die den durch die Spendenaffäre angeschlagenen Wolfgang Schäuble 2000 an der CDU-Spitze abgelöst hatte, hätte einen Zugriff auf die Kanzlerkandidatur gehabt – verzichtete aber. Auch weil ein Großteil der CDU-Ministerpräsidenten gegen Merkel war, die sie nur für eine Übergangslösung an der Parteispitze hielten.

Bei dem legendären „Wolfratshauser Frühstück“ teilte Merkel ihrem Rivalen Edmund Stoiber (CSU) unter vier Augen in seiner Wohnung mit, dass es für die Union besser sei, wenn er antrete. Dass sie dem von sich so überzeugten CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt ließ, hatte auch den Vorteil, damit zugleich den Parteikollegen Friedrich Merz aus dem Weg zu räumen, der ebenfalls Kanzlerkandidat werden wollte. Merkels Vorgehen erinnert an Kohls taktisch kluge Entscheidung für Strauß 1980. Auch CSU-Politiker Stoiber verlor die Wahl gegen Schröder – und Merkel konnte 2005 auftrumpfen.

 Auch die Machtkämpfe in der SPD sind legendär. In den 90er Jahren versuchten die Sozialdemokraten zunächst vergeblich, den Einheitskanzler Kohl von der Macht zu verdrängen. Drei Männer kristallisierten sich heraus: der SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping und die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und dem Saarland, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Die Troika war geboren. Zu dritt brachten die SPD-Politiker Kohl 1994 tatsächlich an den Rand einer Niederlage. Danach entspann sich allerdings ein vierjähriges politisches Ringen um Macht, das Shakespeare’sche Ausmaße annahm.

Der erste Höhepunkt erfolgte am 15. und 16. November 1995 auf dem SPD-Parteitag in Mannheim. Mit einer fulminanten Rede traf der größte Hoffnungsträger der Partei, der Saarländer Lafontaine, die Stimmung der Delegierten mitten ins Herz. „Es gibt noch Politikentwürfe, für die wir uns begeistern können, und wenn wir selbst begeistert sind, können wie auch andere begeistern. In diesem Sinne: Glückauf!“, beendete Lafontaine seine Rede und stürzte Scharping nur einen Tag später völlig überraschend bei der Wahl zum Vorsitzenden. Der damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel verschlug es die Sprache, als sie auf einer Auslandsreise davon hörte. „Politik ist schon ein brutales Geschäft“, sagte die spätere Kanzlerin in kleinem Kreis.

Doch damit war nur Scharping erledigt. Wer von den beiden Übriggebliebenen für die Partei 1998 antreten sollte, war längst nicht ausgemacht. Lange Zeit überwog nach außen hin die Geschlossenheit. „Zwischen uns passt kein Blatt Papier“, ließ sich Schröder gern vernehmen. Und der neue Parteichef Lafontaine widersprach nicht. Im Grunde entschieden die heimischen Wähler Schröders in Niedersachsen den schwelenden Machtkampf. Mit dem noch heute gültigen Rekordergebnis von 47,9 Prozent bei den Landtagswahlen am 1. März marschierte der Ministerpräsident Schröder durch. „Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein“, hatte zuvor der umtriebige Unternehmer und Finanzdienstleister Carsten Maschmeyer in einer geheimen Aktion plakatiert. Tatsächlich schaffte es Schröder, den Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, nach 16 Regierungsjahren zu schlagen. Sieben Jahre führte er danach eine rot-grüne Bundesregierung.

Den Machtkampf mit Lafontaine erledigte er nur wenige Monate nach Amtsantritt. Der Saarländer und SPD-Chef wollte ausgerechnet als Bundesfinanzminister die Welt verändern, die Reichen zur Kasse bitten und ein neues solidarisches Weltwährungssystem errichten. Irgendwann platzte Schröder der Kragen und er rüffelte via „Bild“-Zeitung die linken Träume seines einstigen Mitstreiters. Lafontaine verlor die Nerven und trat von allen Ämtern zurück. „Schlechtes Mannschaftsspiel“ war sein einziger Kommentar. Der Rest ist Geschichte.

Selbst die Lichtgestalt der Sozialdemokratie, Willy Brandt, musste einst etliche Stationen und Machtkämpfe durchlaufen, bis er den Weg als erster Sozialdemokrat ins Kanzleramt schaffte. Ende der 50er Jahre gehörte er mit Herbert Wehner, Carlo Schmid und Fritz Erler zum „Frühstückskartell“ der SPD, die gegen den damaligen zögerlichen Vorsitzenden Erich Ollenhauer mit dem Godesberger Programm eine wirtschafts- und außenpolitische Wende der Partei hin zu Marktwirtschaft und Westbindung vollzogen. Geschickt schaffte es Wehner, den aufstrebenden Brandt gegen den Parteivorsitzenden 1961 zum Kanzlerkandidaten und nach Ollenhauers Tod 1964 auch zum SPD-Chef durchzusetzen. Und als es 1969 für ein sozial-liberales Bündnis reichte, setzte Brandt die neue Kombination gegen den Willen Wehners und des damaligen Fraktionsvorsitzenden Helmut Schmidt durch – und begründete eine neue Ära der deutschen Politik.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, dass Albrecht auf dem Bundesparteitag der CDU 1979 im Kampf um die Kanzlerkandidatur dem CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß unterlag. Die Niederlage erlitt Albrecht allerdings bei einer Sitzung der Unionsfraktion 1979. Den Fehler haben wir verbessert.

(jra/kes)
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