Analyse Mit VW auf Klassenfahrt

Düsseldorf · Um Schüler zu erreichen, sind viele Firmen erfinderisch. Sie bieten Events und Ziele für Ausflüge oder versuchen sogar, mit eigenen Materialien den Unterricht zu beeinflussen. Das könnte bald noch einfacher werden.

 Eine Schülerin einer fünften Klasse meldet sich im Unterricht.

Eine Schülerin einer fünften Klasse meldet sich im Unterricht.

Foto: dpa/Daniel Karmann

An der Dame hinter dem kleinen Stehpult kommt kaum ein Messebesucher vorbei. „Kommen Sie mit Ihrer Klasse doch einmal zu uns in die Autostadt“, lädt sie jeden ein, der in Rufweite kommt. Ein Klassenausflug in eine Autostadt? Gern erläutert die VW-Mitarbeiterin, was es damit auf sich hat: Die Autostadt befinde sich auf dem VW-Gelände in Wolfsburg. Ein mehrtägiger Aufenthalt dort habe viele Vorteile – - für Schüler und Lehrer. Er sei erschwinglich, interessant, und für Programm sei gesorgt.

Im Internet bewirbt VW seine Autostadt so: Unter dem Motto „Menschen, Autos und was sie bewegt“ würden dort die Werte des Konzerns und das Thema Mobilität für Besucher erlebbar. Das Land Niedersachsen, das an VW beteiligt ist, hat die Autostadt sogar als außerschulischen Lernort anerkannt.

Das Angebot scheint beliebt zu sein. VW kann zur Zahl der Schüler unter den Besuchern zwar keine genaue Auskunft geben. Der PR-Dame zufolge aber sind es manchmal 3000 Schüler am Tag, denen VW seine Werte vermitteln kann. Ein weiterer Pluspunkt sei, dass die Autostadt an 363 Tagen im Jahr geöffnet sei. „Heiligabend natürlich nicht“, fügt sie mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu.

Es ist ein großer Stand, den der Auto-Konzern auf der diesjährigen Bildungsmesse Didacta gebucht hat. Und VW ist nicht das einzige Unternehmen. Es gibt Hallen, die eher an eine Industriemesse erinnern, so viele Konzerne sind dort vertreten. Offiziell geht es ihnen um Fachkräftegewinnung und die Sensibilisierung für ökonomische Themen. Doch an den meisten Ständen wird schnell klar: Die Unternehmen wollen sich auch bei den Kindern so früh wie möglich bekannt machen. ihre Marken platzieren. Noch entscheidender aber ist, dass viele von ihnen mit eigenen Lehrmaterialien auf Lehrinhalte Einfluss zu nehmen versuchen.

Da gibt es Material zur Verkehrserziehung von einer Daimler-Tochtergesellschaft. Zufällig sind auf den Bildern jede Menge Autos aus dem Hause Daimler zu sehen. Der Chemiekonzern Lanxess ist erstmals auf der Didacta vertreten. Er wendet sich mit einem Fragebogen an die Lehrer: „Im Rahmen der Bildungsinitiative von Lanxess entstehen derzeit Unterrichts- und Projektmaterialien für die Sekundarstufe I (8.-10. Klasse) …“. Die Lehrer sollen Lanxess mitteilen, welche Inhalte sie interessant finden.

Für die Grundschule hat Lanxess bereits zwei Ordner mit Lehrmaterial entwickelt. Von der 2000-Stück-Auflage sind dem Konzern zufolge 1200 vergriffen. Hauptfigur ist eine niedliche Kuh, die in Anlehnung an Lanxess „Lanny“ heißt. In „Lanny erkundet die Welt“ soll die Kuh mit rotem Halstuch und Wanderschuhen den Kindern das Thema Globalisierung nahebringen. Auf Seite 28 zum Beispiel werden die Schüler aufgefordert, im Supermarkt nachzuschauen, woher Bananen, Zucchini, Äpfel oder Paprika kommen. Eigentlich eine gute Idee. Doch einen Hinweis auf Umweltprobleme durch lange Transportwege oder auf fairen Handel sucht man vergeblich. „Das wäre in der Grundschule noch zu früh“, meint Nina Hasenkamp, die Leiterin der Bildungsinitiative bei Lanxess.

Warum der Spezialchemiekonzern diesen Aufwand betreibt und was er mit den Unterrichtsmaterialien erreichen will, beschreibt er im Vorwort an die Lehrer so: „Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit und Umweltverträglichkeit unserer Arbeit haben wir ein besonderes Interesse an Mitarbeitern, die sich mit Sachkenntnis für ein nachhaltiges Wirtschaften in einer globalisierten Welt einsetzen.“

Mathias Richter, Staatssekretär im NRW-Schulministerium, sagte bei einer Podiumsdiskussion, er habe es bisher nicht erlebt, dass Unternehmen tatsächlich auf Lerninhalte Einfluss nähmen. „Wir würden uns dagegen auch wehren“, so der Staatssekretär. Das Schulministerium genehmige die Lehrpläne und habe alle entsprechenden rechtlichen Instrumente in der Hand. „Wir würden uns eher mehr Engagement der Unternehmen wünschen, etwa bei Praktika“, so Richter.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist anderer Auffassung. Zwar sei die Berufsorientierung wichtig, sagt die Bundesvorsitzende Marlis Tepe. Sie sieht jedoch durchaus ein Bemühen der Wirtschaft, das weit darüber hinausgeht. „Wenn Fastfood-Ketten Lehrmaterial für Ernährung produzieren, sehen wir das kritisch.“ Eine Einflussnahme der Wirtschaft auf Unterrichtsmaterialien sei nicht akzeptabel.

In Zukunft könnte es den Unternehmen leichter gemacht werden, Inhalte mitzubestimmen. In NRW soll das Fach Politik um Wirtschaftsthemen erweitert werden, neuerdings soll es Wirtschaft/Politik heißen. nicht mehr Politik/Wirtschaft. Lerninhalte seien die soziale Marktwirtschaft, Fragen der sozialen Sicherung, aber auch die Tarifautonomie. Lehrmaterialien von Unternehmen dürften dabei nur „Add-on“ sein, also eine Ergänzung zu den eigentlichen Schulbüchern, sagte Richter. „Wir sollten das Zutrauen haben, dass unsere Lehrer das bewerten können.“ Die GEW-Chefin sieht das neue Fach ohnehin skeptisch. Schon heute sei Wirtschaft an den Schulen selbstverständlicher Teil der politischen Bildung. Eine Untersuchung belege, dass Schüler sich durchschnittlich nur zu einem Prozent mit politischen Inhalten beschäftigten. Seine Meinung zu politischen Themen dürfe ein Schüler gerade einmal 20 Sekunden pro Woche sagen.

Auch die Landeselternvertretung der Gymnasien und die Deutsche Vereinigung für Politische Bildung NRW kritisieren den Lehrplan für das neue Fach. Sie sehen sogar einen Verstoß gegen den Beutelsbacher Kompromiss, der die Grundsätze für politische Bildung festlegt. Danach müssen Lehrer ein Thema kontrovers darstellen und sollen Schülern ihre Meinung nicht aufzwingen. Und Unternehmen dürfen das erst recht nicht.

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