Bundespräsident besucht Gedenkstätte in Weißrussland Steinmeier schämt sich für AfD-Äußerungen

Minsk · Der Bundespräsident besucht den Ort der schlimmsten Massenvernichtung von Menschen durch das NS-Regime auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Und sendet von dort eine innenpolitische Botschaft gegen das Vergessen.

Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen, der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (li.) nehmen an einer Zeremonie in der Gedenkstätte für die Opfer des Zweiten Weltkriegs in Trostenetz bei Minsk teil.

Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen, der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko und der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (li.) nehmen an einer Zeremonie in der Gedenkstätte für die Opfer des Zweiten Weltkriegs in Trostenetz bei Minsk teil.

Foto: AFP/MAXIM MALINOVSKY

Es ist ein trostloser Ort. Ein gepflasterter Weg führt durch vier Mauerpaare, die sich jeweils gegenüberstehen. Die Mauern stehen im Abstand der Breite eines Zug-Waggons voneinander entfernt - Waggons, in denen Menschen wie Schlachtvieh transportiert wurden. Hin zum Platz des Todes.

Nur fünf Kilometer südlich von Minsk liegt Malyj Trostenez - kleines Trostenez in von Wald umgebenen Gelände. Trostenetz ist als Ort nationalsozialistischer Verbrechen und Ort der Erinnerung in Deutschland kaum bekannt. Er war aber die größte Massenvernichtungsstätte der Nazis auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion. Zwischen 1942 und 1944 kamen hier nach Forschungsergebnissen russischer Historiker mehr als 200.000 Menschen zu Tode - Kriegsgefangene und Partisanen, Juden aus Westeuropa sowie einheimische Bürger: alte Menschen, Frauen und Kinder. Internationale Forscher sprechen von 60.000 Ermordeten. Verbrieft ist in jedem Fall, dass jeder vierte Einwohner Weißrusslands die Zeit der deutschen Besatzer nicht überlebt hat.

„Der Schritt wird schwer und schwerer, je näher man diesem Ort kommt“, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, nachdem er den als Gedenkstätte nachgebauten Weg des Todes gemeinsam mit dem weißrussischen Präsidenten Alxander Lukaschenko und dem österreichischen Präsidenten Alexander van der Bellen abgeschritten ist. Gleich drei Vernichtungsstätten habe die Nazis auf diesem Gelände konzentriert. Es wurde im Akkord erschossen und verbrannt. Das Wissen um das, was an diesem Ort geschehen sei, werde zur „tonnenschweren Last“, sagt der Bundespräsident, der in seiner Rede die NS-Verbrechen sehr nah schildert. „Was damals über dieses Land und seine Nachbarn kam, war Menschenwerk.“ Er schildert die effiziente Todesmaschinerie der Nazis, nennt Namen, Adressen, Details. Sagt auch: „Dieser bürokratisierte Krieg, gestützt auf einen Apparat und seine Arbeitsteilung, atomisierte die Verantwortung eines jeden Einzelnen.“

Steinmeier ist nicht nur gekommen, diesen weitgehend vergessenen Ort des Grauens ins Bewusstsein zurückzuholen. Seine Reise ist auch ein innenpolitisches Signal an die AfD, von der mit Blick auf die NS-Verbrechen eine „Erinnerungswende“ gefordert worden war. Björn Höcke, der studierte Geschichtslehrer und Rechtsaußen der AfD, hatte diesen Begriff genutzt. Der AfD-Fraktionschef im Bundestag, Alexander Gauland, sprach mit Blick auf die zwölf Jahre Schreckensherrschaft der Nazis, den Angriffskrieg der Deutschen und die Vernichtung von Millionen Juden von einem „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte. „Heute besteht die Verantwortung darin, das Wissen um das, was hier geschah, lebendig zu halten“, setzt Steinmeier dieser Art der Geschichtsvergessenheit in Weißrussland entgegen. Und dann gibt er noch ein Versprechen ab: „Ich versichere Ihnen, wir werden diese Verantwortung auch gegen jene verteidigen, die sagen, sie werde abgegolten durch verstrichene Zeit.“

Noch deutlicher wird der Bundespräsident in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Bezogen auf die Aussagen von AfD-Politikern zur deutschen Erinnerungskultur sagte er: „Ich persönlich schäme mich für derartige Äußerungen. Ich schäme mich ebenso für verharmlosende Begriffe, die jüngst für die Zeit des Nationalsozialismus von deutschen Politikern verwendet wurden.“ Steinmeier betonte zugleich, er sei sich sicher, dass „die ganz große Mehrheit der Deutschen diesen Versuch, die Zeit des Nationalsozialismus aus unserer Geschichte auszulöschen oder zu relativieren, nicht unterstützt“.

Auch der österreichische Präsident van der Bellen, der ähnliche Debatten um die Erinnerungskultur aus seinem Land kennt, betont die Bedeutung solcher Gedenkstätten. Wenn eines Tages die letzten Überlebenden verstummt seien, dann solle es Erinnerungsorte geben, um an ihrer Stelle zu sprechen.

Das Gedenken in Weißrussland hat Zukunft: 1990 - ein Jahr nach Öffnung des eisernen Vorhangs und knapp 50 Jahre nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Russland - ist in Minsk eine Bildungs- und Begegnungsstätte geschaffen worden. Im Mai 2014 wurde der Grundstein für die Gedenkstätte in Trostenetz gelegt. Auch mit Geldern aus Deutschland geht der Bau voran. Der Bundespräsident ist nun zur Einweihung des zweiten Bauabschnitts gekommen. Weißrussland gehört zu jenen Ländern, die in der Diplomatensprache als „schwierige Partner“ gelten. Die so Bezeichneten sind keine vollständigen Demokratien, Missachten Menschenrechte, unterdrücken die Opposition im eigenen Land. Als Außenminister war Steinmeier nie dort - abgesehen von den Minsker Verhandlungen im Normandie-Format um das Waffenstillstandsabkommen in der Ukraine.

Nun traf er mit Präsident Alexander Lukaschenko in dessen erst 2013 fertiggestellten Präsidentenpalast zusammen, den sich der Präsident als Symbol der „Unerschütterlichkeit“ und der „Unabhängigkeit“ Weißrusslands hat bauen lassen. Auch die Verhandlungen über die Ukraine haben dort stattgefunden - nach dem ersten territorialen Übergriff - durch Russland auf die Krim - seit Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem europäischen Kontinent.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort