Vorbereitung für die Großoffensive „Russland wird mit brutaler Gewalt die Kapitulation von Kiew erzwingen“

Interview · Die langen Militärkonvois, die derzeit auf Kiew zusteuern, sollen eine weitere Offensive vorbereiten, glaubt der Sicherheitsexperte Joachim Krause von der Uni Kiel. Der weitere Verlauf des Krieges könnte an Härte zunehmen.

 Dieses von Maxar Technologies bereitgestellte Satellitenbild zeigt einen Militärkonvoi nordwestlich von der ukrainischen Stadt Invankiv.

Dieses von Maxar Technologies bereitgestellte Satellitenbild zeigt einen Militärkonvoi nordwestlich von der ukrainischen Stadt Invankiv.

Foto: dpa/Uncredited

Bilder von US-Satelliten zeigen einen 60 Kilometer langen Konvoi von russischen Militärfahrzeugen, die in Richtung der Ukraine unterwegs sind. Ist das die entscheidende Großoffensive Putins?

Krause Dies ist erst einmal nur ein Konvoi, der Waffen, Munition, Soldaten und Versorgungsgüter, Benzin und anderes an die Front bringt. Es ist zu befürchten, dass damit eine Offensive in der nächsten Woche vorbereitet werden soll, die die Abriegelung von Kiew und dessen Belagerung zum Ziel hat.

Es gibt die These, in der ersten Welle hätten die Russen veraltetes Material an die Front gebracht, um ihre Elitetruppen zu schonen. Ist das richtig?

Krause Das ist schwer aus der Ferne zu beurteilen. Ich gehe eher davon aus, dass die russischen Truppen relativ leicht vorgegangen sind, weil die russische Führung irrtümlich davon ausging, dass sie mit offenen Armen von der ukrainischen Bevölkerung empfangen wird und dass sich die ukrainischen Soldaten schnell ergeben würden. Das ändert sich jetzt, und es ist zu erwarten, dass die russischen Truppen eine härtere Gangart einschlagen. Dabei ist zu befürchten, dass sie mit brutaler Gewalt auch gegen Zivilisten vorgehen, um die Kapitulation von Kiew und anderen Großstädten zu erzwingen.

Wie lange können die Ukrainer mit ihren unterlegenen Streitkräften noch die russische Armee aufhalten?

Krause Die Hauptstreitmacht der Ukraine befindet sich im Ostteil und kämpft dort gegen die russischen Verbände. Die Munition und ihre Lebensmittelvorräte sind begrenzt. Wie lange sie aushalten können und ob sie eine Operation zur Befreiung von Kiew vornehmen können, ist aus der Ferne schwer einzuschätzen.

Kommen die deutschen Waffenlieferungen noch rechtzeitig?

Krause Das vermag ich nicht zu sagen. Diese werden ohnehin nicht kriegsentscheidend sein.

Welche Reserven und Möglichkeiten hat Putin, falls auch die zweite Welle ins Stocken gerät?

Krause Ich glaube nicht, dass sich das wiederholt, was wir in den vergangenen Tagen erlebt haben. Die russische Seite hat langfristig bessere Karten, was die Ausrüstung und die Logistik betrifft, die Ukrainer sind aber deutlich besser motiviert. Für sie geht es um Leben oder Tod, oder um Freiheit oder Knechtschaft. Sollte wider Erwarten die nächste Woche in einer Niederlage der russischen Truppen enden, dann blieben noch die Reservetruppe sowie die Truppen von Belarus übrig. Letztere dürften aber das Blatt nicht wenden. Aber, wie gesagt, ich vermute eher, dass die Russen mit einer brutalen Kriegsführung in den kommenden Tagen und Wochen Erfolge erzielen werden. Aber dann kommt die Frage, wie wollen die Russen ein Land besetzen, dessen Bevölkerung sich verbissen dagegen wehrt? Und wie soll eine von Russland eingesetzte Marionettenregierung diese Bevölkerung regieren, die bewaffnet und hochmotiviert ist?

Professor Joachim Krause ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

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