US-Präsident Biden zum Krieg in der Ukraine „Wenn Diktatoren keinen Preis für ihre Aggression zahlen, verursachen sie mehr Chaos“

Washington · Der Kongress erlebte eine Nacht der Solidarität in blau-gelb. US-Präsident Joe Biden sicherte der Ukraine in seiner ersten State of the Union die Unterstützung der USA zu. Wladimir Putin habe die Geschlossenheit des Westens unterschätzt.

US-Präsident Joe Biden im Kapitol.

US-Präsident Joe Biden im Kapitol.

Foto: dpa/Saul Loeb

Die Einigkeit währte etwa 20 Minuten. Solange wie der Beginn der Rede zur Lage der Nation, der State of the Union, den die Redenschreiber von US-Präsident Joe Biden seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mehrfach überarbeitet hatten. In seltener Einheit erhoben sich Demokraten und Republikaner und applaudierten, als Biden um eine Solidaritätsbekundung für die Ukraine bat. Minutenlang beklatschte der Kongress die Botschafterin der Ukraine in den USA, Oksana Markarova, die auf der Besuchertribüne neben First Lady Jill Biden Platz genommen hatte.

Die meisten Awesenden waren in diesem Moment Ukrainer im Geiste. Demonstrativ trugen viele Frauen im Kongress blau-gelbe Kombinationen, ihre Kollegen hatten sich Pins und Schleifen in den Landesfarben ans Revers gesteckt. Ukrainische Flaggen zierten auch die Pennsylvania Avenue, über die Joe Biden für seine erste offizielle Rede zur Lage der Nation vom Weißen Haus zum Kongress gefahren war.

„Über unsere Geschichte hinweg haben wir diese Lektion gelernt“, griff Biden die epochale Herausforderung auf, mit der Putins Überfall die Friedensordnung in Europa konfrontiert. „Wenn Diktatoren keinen Preis für ihre Aggression zahlen, verursachen sie mehr Chaos. Sie machen weiter. Und die Kosten der Drohungen gegen Amerika und die Welt werden größer.“ Biden versicherte, er werde dafür sorgen, dass Putin „einen Preis bezahlt“.

Die USA hätten die Ostflanke der Nato in Europa nicht verstärkt, um in den Ukraine-Krieg einzugreifen. Die entsandten US-Truppen seien dafür da, die Nato-Verbündeten zu verteidigen, falls Putin entscheide, gen Westen zu ziehen. Man werde „jeden Zentimeter“ an Nato-Gebiet verteidigen, versprach der US-Präsident, „mit der gesamten Macht unserer vereinten Kräfte“. Analysten werteten das als Antwort auf Putins Atomdrohung.

Detailliert führte Biden die diplomatische Offensive seiner Regierung im Vorfeld des Überfalls aus. Er lobte den Zusammenhalt der Nato und die Sanktionen gegen Russland. „Putins Krieg war vorgeplant und nicht provoziert“, hielt der Präsident dem russischen Führer vor. „Er hat diplomatische Bemühungen zurückgewiesen. Er dachte, der Westen und die Nato würden nicht reagieren. Er dachte, er könnte uns zu Hause spalten. Putin lag daneben. Wir waren vorbereitet.“

Tatsächlich organisierten die USA ein Sanktionsbündnis, das beispiellos in der neueren Geschichte ist. „Selbst die Schweiz fügt Russland Schmerzen zu“, lobt Biden die Breite der Sanktionsfront auf dem Finanzmarkt, inklusive der eingefrorenen Guthaben der russischen Zentralbank. Biden kündigte an, ab sofort wie dutzende anderer Staaten den Luftraum für russische Maschinen zu blockieren.

Und er will die Oligarchen, die Putin helfen, an der Macht zu bleiben, persönlich ins Visier nehmen. „Wir werden Eure Verbrechen verfolgen. Ihr werdet von uns hören“, sagte Biden und kündigte gezielte Maßnahmen gegen die Jachten, Luxusapartments, Bankkonten und Nobelkarossen der reichen Putin-Freunde im Westen an.

Biden forderte den Kongress auf, mehr Waffen und humanitäre Hilfe für die Ukraine bereitzustellen. Gleichzeitig bereitete der Präsident die US-Bevölkerung auf wirtschaftliche Härten durch höhere Inflation und steigende Energiepreise vor. Zwei Themen, die Bidens Zuhörer in den USA bisher mehr besorgten als die Lage in einem Land, das laut einer Umfrage von Morningconsult zwei von drei Amerikanern nicht einmal auf der Landkarte finden.

Der Präsident nutzte die State of the Union auch als Erklär-Stunde, um den Zusammenhang zwischen den Angriffen auf Freiheit und Demokratie im Inneren und die Gefahren von außen herzustellen. Dabei verwies er auf den Sturm auf das Washingtoner Kapitol am 6. Januar 2021. Auch angesichts der Bedrohungen im Inneren, sei es wichtig, die Einheit zu wahren. Er habe unzählige Stunden darauf verbracht, „Europa zu einen“, sagte Biden. Meinte er Deutschland, das bei Nord Stream 2, Swift und den Militärausgaben eine Kehrtwende vollzogen hatte? Biden ließ es offen.

Unterstützung für Bidens Sanktionsfront kommt auch aus der Privatwirtschaft. So kündigte Apple vor der State of the Union das Ende des Verkaufs seiner Hard- und Software-Produkte in Russland an. Und Hollywood wird seine neuen Filme nicht mehr in russischen Kinos zeigen. Biden bemühte sich darum, seinen Zuhörern in den USA zu versichern, dass er nach Jahren der Pandemie, Inflation und rasant steigender Energiepreise die Sorgen der Amerikaner ernst nimmt.

Kurz vor der Rede hatten der Präsident und seine internationalen Verbündeten 60 Millionen Barrel aus der strategischen Rohöl-Reserve freigegeben. Mit Blick auf die Inflation warb Biden für den Aufbau einer besseren Infrastruktur und mehr Innovation. „Statt von ausländischen Lieferketten abzuhängen, lasst uns die Dinge hier machen.“

Spätestens hier, im zweiten, dem innenpolitischen Teil der State of the Union hörte die von Biden beschworene Einheit auf. Vom richtigen Umgang mit der Pandemie über Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung bis hin zu seinem Paket an sozialen und ökologischen Reformen, das Biden wiederbeleben will, prallen die Ansichten des Demokraten mit denen der Republikaner hart aufeinander. Sichtbares Zeichen der inneren Verwerfungen waren die Sicherheitszäune, die aus Sorge vor Ereignissen wie am 6. Januar 2021 die Teilnehmer der State of the Union schützen.

Für umso wichtiger halten Analysten die demonstrative Rückendeckung führender Republikaner, wie etwa Mitch McConnell, Fraktionsführer im Senat, für den „Commander-in-Chief“ während der Ukraine-Krise. „Es gibt breite Übereinstimmung für das, was der Präsident gerade tut“, sagte McConnell. „Unsere größte Beschwerde ist, dass es so lange gedauert hat.“

Während 71 Prozent der Zuschauer laut Umfragen nach der State of the Union einen positiven Eindruck von der Rede mitnahmen, gab es in den Kommentarspalten der Leitmedien auch kritische Töne. Biden habe kein Wort zu der mutigen Opposition in Russland gesagt, bemängelt die „Washington Post“. Der Präsident habe auch „keine Vision dargelegt, wie die Nato der russischen Bedrohung auf lange Sicht begegnen wird“.

Biden beließ es bei der Zuversicht über den Ausgang eines Konflikts, der die letzten drei Jahre seiner Präsidentschaft beschäftigen wird. „Wenn die Geschichte dieser Zeit geschrieben ist“, lobte Biden den Zusammenhalt der Welt gegen Putin, werde der Überfall der Ukraine „Russland schwächer und den Rest der Welt stärker machen“. Die freie Welt habe nichts zu befürchten. „Für uns wird es gut ausgehen.“

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