Zwei Jahre nach Sturm aufs Kapitol Der Staat gegen Donald Trump

Washington · Analyse Zwei Jahre nach dem Sturm auf das Kapitol könnte erstmals in der Geschichte Anklage gegen einen ­ Ex-Präsidenten erhoben werden. Oder der mutmaßliche Putschversuch, der bis heute nachwirkt, bleibt ungeahndet.

Sturm auf US-Kapitol: Bilder zeigen die Krawalle in Washington
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Trump-Anhänger stürmen Kapitol in Washington

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Foto: AP/Manuel Balce Ceneta

Donald Trump antwortete auf die Vorladung des Untersuchungskomitees zum 6. Januar mit einem mehrseitigen Wutschreiben. Darin poltert er über einen „Schauprozess, wie ihn das Land noch nie zuvor erlebt hat“. Dieser sei nicht mehr als eine von „Parteigängern und Gangstern“ inszenierte „Hexenjagd“. Es gebe „keine Unschuldsvermutung, kein Kreuzverhör“, heißt es in dem vom 14. Oktober datierten Brief.

Kurz vor dem Jahreswechsel gaben die sieben Demokraten und zwei Republikaner des auch als „Select Commitee“ bekannten Ausschusses den Versuch auf, Trump zu befragen. Angesichts des bevorstehenden Machtwechsels im Repräsentantenhaus fehle die Zeit, die gesuchten Informationen zu erhalten. Auch ohne Trumps Zutun hatte das Komitee genügend belastendes Material zutage befördert, um der Justiz erstmals in der Geschichte die Strafverfolgung eines ehemaligen Präsidenten zu empfehlen. In dem 845 Seiten starken Abschlussbericht kommen die Ermittler zu einem eindeutigen Ergebnis. „Der zentrale Grund für den 6. Januar war ein Mann, der frühere Präsident Donald Trump, dem viele andere folgten.“

Dass Trump nicht nur für die Ereignisse vor zwei Jahren verantwortlich war, sondern sein Einfluss und die Weichen, die er gestellt hat, das politische Tagesgeschäft in den USA bis heute prägen, könnte aktueller kaum bewiesen werden: Über Tage gelang es dem Republikaner Kevin McCarthy nicht, sich mit der Mehrheit seiner eigenen Partei zum Sprecher des Repräsentantenhauses wählen zu lassen, weil ihm ein harter Kern von Trump-Anhängern die Gefolgschaft verweigert hat. Und diese Hardliner hat der Ex-Präsident selbst inzwischen nicht mehr im Griff: Obwohl er ausdrücklich um die Unterstützung ­McCarthys bat, um einen weiteren Gesichtsverlust der Republikaner zu verhindern, erreicht er den harten Kern der Rechten in den eigenen Reihen nicht mehr.

Eine Parallele zur Situation vor zwei Jahren? Entfesselte Trump Kräfte, die er nicht unter Kontrolle hatte, oder plante er wirklich einen Putsch? Das Komitee hat inzwischen eine klare Meinung und mit der Befragung von mehr als 1000 Zeugen und der Auswertung von rund einer Million Dokumente über 18 Monaten ganze Vorarbeit geleistet. Jetzt liegt es an Sonderermittler Jack Smith, zu entscheiden, ob er einzelne oder alle vier Tatbestände zur Anklage bringt: Behinderung offizieller Amtsgeschäfte des US-Kongresses, Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten, gesetzwidrige, falsche oder vorsätzlich falsche Aussagen gegenüber der Regierung sowie Hilfe oder Mitwirkung an einer Rebellion gegen die Vereinigten Staaten.

Sollte es eine Anklage geben, bekäme Trump, was er in dem Brandbrief an das Komitee beanstandet hatte: Ein rechtsstaatliches Strafverfahren – genau wie mindestens 964 seiner Anhänger, die sich in den vergangenen zwei Jahren vor Gericht verantworten mussten. So selbstverständlich das klingt, so einzigartig wäre es in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Es gibt keine Blaupause für die Anklage eines Ex-Präsidenten. Trump bekäme dieselbe Behandlung wie allen anderen Angeklagten: Er müsste seinen Reisepass aushändigen, ein erkennungsdienstliches Foto aufnehmen lassen und eine Kaution hinterlegen. Die Auswahl der unabhängigen Jury wäre eine Mammutaufgabe bei einem Mann, den nahezu jeder kennt.

Der Abschlussbericht weist nicht nur die Verantwortung klar zu, sondern bündelt auch die Argumente. Der Sturm auf das Kapitol sei der letzte Teil „eines mehrteiligen Plans“ gewesen, „das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2020 zu kippen“. Dieser begann in der Wahlnacht mit Trumps „großer Lüge“ von den angeblich gestohlenen Wahlen. Der mit sieben Millionen Stimmen abgewählte Präsident übte dann in „mindestens 200“ Instanzen Druck auf Gesetzgeber und Wahlbeamte aus, die Ergebnisse zu seinen Gunsten zu verändern. Mithilfe gefälschter Wahlleutelisten aus sieben Bundesstaaten versuchte Trump einen Anlass zu schaffen, die Wahlergebnisse im Kongress anzufechten. Er übte Druck auf Vizepräsident Mike Pence aus, die Zertifizierung im Kongress am 6. Januar zu verweigern. Parallel trommelte er seine Anhänger vor dem Weißen Haus zusammen. Mehr als 187 Minuten lang verfolgte er dort im Esszimmer untätig die eskalierende Gewalt und ignorierte die Appelle von Familienangehörigen und Beratern, die Gewalt zu stoppen. Als der Aufstand am späten Nachmittag gescheitert war, hatten sieben Menschen ihr Leben verloren und 150 Polizisten zum Teil schwere Verletzungen erlitten. All das lässt sich detailliert in den acht Kapiteln des Abschlussberichts nachlesen, der die live übertragenen öffentlichen Anhörungen des Untersuchungskomitees dokumentiert. Dank der multimedialen Aufbereitung durch den TV-Produzenten James Goldston erreichten die Ermittler mit 18 Millionen Zuschauern auf dem Höhepunkt so viele Interessierte wie sonst nur Sonntags-Footballspiele.

Scheibchenweise veröffentlichte das Komitee mehr als 100 Protokolle der Zeugenbefragungen. Dafür interessiert sich auch die Chefanklägerin von Atlanta, Fani Wallis, die bereits eine Jury hat und mit ihren Ermittlungen nach Recht des Bundesstaats Georgia weit vorangeschritten ist. Während eine Geld- oder Gefängnisstrafe nach Bundesrecht von einem US-Präsidenten vergeben werden kann, sieht das Recht von Georgia kein Pardon für Verstöße gegen das Wahlgesetz vor.

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