Wahl des Repräsentantenhaus-Chefs US-Republikaner McCarthy scheitert auch im sechsten Anlauf
Washington · Erneut vertagt: Auch am Mittwoch können die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht nutzen, um Kevin McCarthy zum Vorsitzenden zu wählen. Es geht um eines der wichtigsten politischen Ämter in den USA - und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments.
Die Republikaner im US-Repräsentantenhaus haben eine für Mittwochabend (Ortszeit) vorgesehene erneute Abstimmungsrunde über den künftigen Vorsitz der Kongresskammer überraschend abgesagt. Zugrunde lag die Einschätzung, dass auch weitere Abstimmungen nicht zur Wahl des republikanischen Fraktionschefs Kevin McCarthy zum Vorsitzenden führen würden - und so stimmten seine Parteifreunde dafür, die Entscheidung nach sechs erfolglosen Versuchen erneut zu vertagen.
Der entsprechende Antrag wurde am Mittwochabend (Ortszeit) nur ganz knapp angenommen. Die Demokraten stemmten sich gegen das Vorhaben der Republikaner. Die nächste Sitzung soll nun am Donnerstagmittag (Ortszeit) beginnen.
„Ich denke nicht, dass es heute Abend produktiv ist, abzustimmen“, sagte McCarthy nach einem Treffen mit Stimmverweigerern aus den eigenen Reihen hinter verschlossenen Türen. Es sei noch weitere Arbeit nötig. „Ich denke nicht, dass eine Abstimmung heute Abend einen Unterschied machen würde“, sagte er.
Beim Machtkampf um den mächtigsten Posten im US-Parlament hatte McCarthy am Mittwoch seine Serie an Niederlagen fortgesetzt. Der bisheriger Minderheitsführer im US-Repräsentantenhaus verfehlte am Mittwoch in drei weiteren Wahlgängen erneut die notwendige Mehrheit. Ein Appell des Ex-Präsidenten Donald Trump an seine Parteikollegen, das Drama zu beenden und McCarthy ihre Stimme zu geben, verhallte ungehört. US-Präsident Joe Biden nannte das Wahldebakel „peinlich“.
Bereits am Dienstag hatte McCarthy die erforderliche Mehrheit bei der Wahl zum Vorsitzenden der Parlamentskammer dreimal verfehlt, weil ihm diverse Politiker vom äußersten rechten Rand seiner Partei die Unterstützung verweigerten. Für den 57-Jährigen ist das eine historische Schlappe und eine öffentliche Bloßstellung. Es ist das erste Mal seit hundert Jahren, dass bei der Wahl mehr als ein Anlauf nötig ist und eine Fraktion ihren Kandidaten nicht im ersten Durchgang ins Amt wählt.
Am Mittwoch schaltete sich Trump ein und rief seine Parteikollegen auf, einen Gesichtsverlust zu vermeiden und McCarthy auf den Chefposten zu wählen. Zuvor hatten Medien davon berichtet, dass einige Großspender der Republikaner der Partei angesichts des Wahldebakels den Rücken gekehrt hatten. Auf der von ihm mitbegründeten Social-Media-Plattform Truth Social schrieb Trump: „Gestern Abend fanden einige wirklich gute Gespräche statt, und jetzt ist es an der Zeit, dass alle unsere großartigen republikanischen Abgeordneten für Kevin stimmen.“ Er appellierte an seine Parteikollegen: „Verwandelt einen großen Triumph nicht in eine riesige und peinliche Niederlage.“ McCarthy werde einen guten Job machen, „und vielleicht sogar einen großartigen“.
Doch die Mitglieder des Rechtsaußen-Flügels der Republikaner sahen das anders. Lauren Boebert, die als glühender Trump-Fan und Anhängerin der QAnon-Verschwörungstheorie bekannt ist, rief Trump auf, McCarthy zur Aufgabe zu bewegen.
McCarthys Gegner bei den Republikanern, die zum Großteil leugnen, dass Joe Biden der rechtmäßige US-Präsident ist, nominierten am Mittwoch den schwarzen Abgeordneten Byron Donalds als Gegenkandidaten. Jeweils 20 Republikaner stimmten für ihn, so dass McCarthy erneut sogar weniger Stimmen bekam als der Demokrat Hakeem Jeffries, der aber ebenfalls die absolute Mehrheit verfehlte.
Sie fühle sich wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, in dem der Titelheld in eine Zeitschleife gerät und jeden Tag das Gleiche erlebt, sagte die Abgeordnete Kat Cammack, als sie McCarthy zum sechsten Mal nominierte. Im Plenarsaal kam es zu erregten Diskussionen zwischen Anhängern und Gegnern McCarthys. Der Abgeordnete Warren Davidson mahnte seine Parteikollegen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch eine Lösung war nicht abzusehen. Der konservative Freedom Caucus wirft McCarthy vor, weder konservativ noch hart genug zu sein, um gegen die Demokraten vorzugehen.
Biden kritisierte das Wahldrama der Republikaner in der Kongresskammer. „Es ist nicht mein Problem. Ich finde es nur etwas peinlich, dass es so lange dauert und wie sie miteinander umgehen“, sagte der Präsident in Washington. Der Rest der Welt schaue zu. „Ich konzentriere mich darauf, Dinge zu erledigen“, betonte der Demokrat. Bei einem Besuch im Bundesstaat Kentucky hob Biden danach auffallend die Notwendigkeit überparteilicher Zusammenarbeit hervor und gab sich betont eng mit dem obersten Republikaner im Senat, Mitch McConnell, der in Kentucky zu Hause ist und an Bidens Besuch teilnahm.
Nach den Parlamentswahlen im November war der Kongress am Dienstag erstmals in neuer Konstellation zusammengekommen. Die Republikaner übernahmen die Kontrolle im Repräsentantenhaus - im Senat haben Bidens Demokraten weiter eine knappe Mehrheit. Biden wird in den kommenden Jahren also mehr als zuvor auf Kooperation mit den Republikanern angewiesen sein, da diese mit ihrer Mehrheit im Repräsentantenhaus nach Belieben Gesetzesvorhaben blockieren können. Allerdings ist unklar, ob es unter ihnen angesichts der kompletten internen Zerrüttung überhaupt eine gemeinsame Linie geben wird.
Vorerst geht angesichts des Wahldebakels nichts im Repräsentantenhaus. Bis der Vorsitz geklärt ist, kann die Kongresskammer ihre Arbeit nicht aufnehmen, nicht einmal die neuen Abgeordneten können vereidigt werden.
McCarthy könnte womöglich versuchen, mit den Demokraten Verhandlungen aufzunehmen. Diese könnten ihm etwa durch Enthaltenungen in ihren Reihen zu einem Wahlsieg verhelfen, weil das die Zahl der nötigen Stimmen senken würde. Möglich wäre ebenso, dass ein neuer Kandidat aufgestellt wird, auf den sich eine Mehrheit der Republikaner verständigen könnte. Denkbar wären aber auch Gespräche mit den Demokraten über einen Konsenskandidaten, den auch sie mittragen würden. Ein Ausweg war zunächst aber völlig unklar.