Militärpolitik Bundeswehr nach Bagdad

Erbil · Bisher trainierten deutsche Soldaten kurdische Peschmerga für den Kampf gegen den IS. Nun sollen sie der irakischen Armee helfen.

 Angehörige der kurdischen Peschmerga und Soldaten der Bundeswehr in der Ausbildungseinrichtung Bnaslawa nahe Erbil im Nordirak vor dem Übungsdorf „German Village“, wo der Häuserkampf geübt wird. Neuerdings trainieren die Deutschen jedoch nur noch kurdische Ausbilder.

Angehörige der kurdischen Peschmerga und Soldaten der Bundeswehr in der Ausbildungseinrichtung Bnaslawa nahe Erbil im Nordirak vor dem Übungsdorf „German Village“, wo der Häuserkampf geübt wird. Neuerdings trainieren die Deutschen jedoch nur noch kurdische Ausbilder.

Foto: dpa

Montagmorgen, 7:30 Uhr im Stadtteil Dream City in Erbil, der Kurdenmetropole im Nordirak: „Wir bilden jetzt keine Kampftruppen mehr aus“, sagt Presseoffizier Norman Sehmisch, der im gepanzerten Geländewagen vorgefahren ist. „Wir trainieren die Trainer“. Die sollen dann das erworbene Wissen an die kurdischen Peschmerga-Kämpfer weitergeben. Diese neue Form des Trainings ist nicht nur mit den kurdischen Streifkräften vorgesehen, sondern in Kürze auch in Bagdad mit der irakischen Armee. Derzeit werden die Ausbildungsmöglichkeiten noch erkundet. Ob sich das Militärlager Taji im Norden von Bagdad für die deutsche Trainingsmission als geeignet erweist, muss sich noch zeigen. Dort sind auch die Amerikaner stationiert und auch die anderen Mitglieder der Allianz gegen die Terrormiliz IS, wie die Franzosen etwa. In Erbil arbeiten die deutschen Soldaten mit Schweden und Holländern zusammen.

Wie verteidigt und sichert man eine Stadt? Im Irak derzeit das Topthema und für die 122 Bundeswehrsoldaten in Erbil eine echte Herausforderung. Denn auch wenn die meisten Gebiete vom IS zurückerobert wurden, gehen die Angriffe der Extremisten punktuell weiter. Die einen nennen es ein letztes Aufbäumen noch verbliebener Terrorzellen, die anderen sprechen dagegen von einem Wiedererstarken der Terrormiliz. Jedenfalls ist eine Stabilisierung des Landes das Gebot der Stunde. Dem hat sich auch die Bundeswehr im Irak verschrieben. Mit ihrem neuen Mandat verfolgt sie eine veränderte Strategie: Die Basisausbildung ist beendet, seit Juni ist „Capacity Building“ angesagt: Die irakischen Streitkräfte sollen in die Lage versetzt werden, sich selbst zu helfen.

Für den Ausbildungseinsatz der Bundeswehr im Irak gibt es kein Uno-Mandat. Die Bundesregierung sieht den Einsatz aber dennoch innerhalb eines „kollektiven Sicherheitssystems“ und damit als legitim an. Es wird auf eine Aufforderung des früheren Uno-Generalsekretärs Ban Ki-Moon zum Kampf gegen den IS verwiesen sowie auf entsprechende bilaterale Anfragen aus dem Irak. An dieser Begründung der Bundesregierung gab und gibt es jedoch Zweifel. So lehnte beispielsweise die Bundestagsfraktion der Grünen den Einsatz im Irak aus rechtlichen Gründen ab. Trotzdem beschloss das Parlament im Januar 2015 in einer namentlichen Abstimmung die Mission. Unlängst ist das Mandat auf den gesamten Irak ausgeweitet worden und läuft vorerst bis Ende Oktober.

Unimogs, Wölfe, Dingos: In der Kfz-Reparaturwerkstatt wird wieder flott gemacht, was liegenblieb oder liegen bleiben könnte. „Sie müssen lernen, die Kupplung zu treten, Getriebe zu wechseln“, sagt der Ausbilder. Die Fahrzeuge der Peschmerga haben meistens Automatik. Bei den Deutschen lernen sie alles: Sogar Strahlung messen, atomare Sprengköpfe entdecken, Minen entschärfen, den Umgang mit dem Kampfstoffspürgerät: ABC-Ausbildung. Das komplette Training dauert zehn Wochen. Drinnen im Ausbildungszentrum drücken die Perschmerga-Offiziere die Schulbank: Befehlsketten einrichten und schließen, eigene Entscheidungen treffen, um schnell reagieren zu können. Das ist neu, denn die Kommandostrukturen im Irak sind oft umständlich und lang. Allerdings, so räumt der Ausbilder ein, der seinen Namen an der Uniformjacke abgeklebt hat, sei die Guerilla der Peschmerga auf Flexibilität angelegt, während die konventionellen Armeestrukturen behäbig seien.

Und dann sind wir auch schon beim Thema. Ist die Peschmerga nun eine Guerillatruppe oder eine konventionelle Armee? „Das wissen sie oft selber nicht so genau“, ist die Antwort. Denn obwohl die Amerikaner bei ihrem Truppenabzug 2011 eine Fusion der Sicherheitskräfte angeregt hatten, also eine Verschmelzung der irakischen Armee mit den kurdischen Peschmerga-Einheiten, ist nichts davon geschehen – im Gegenteil. Im Konflikt um die Ölstadt Kirkuk standen sich irakische Armee und Peschmerga sogar feindlich gegenüber. Nur knapp konnte im Oktober 2017 ein Bürgerkrieg zwischen Kurden und Arabern verhindert werden. Was also soll mit den Peschmerga geschehen?, lautet eine der vielen Fragen nach dem Sieg über den IS.

Hauptmann Tim will seinen Nachnamen ebenfalls nicht preisgeben. Jeder entscheide in der Namensfrage wie er wolle, sagt der 31-jährige Offizier aus Essen, der im saarländischen Zweibrücken stationiert ist. Er sei aus freien Stücken in den Irak gekommen, wollte eigentlich sogar nach Bagdad. „Aber die sind dort noch nicht so weit.“ Seine Motivation zur Bundeswehr zu gehen, sei Abenteuerlust gewesen, etwas von der Welt zu sehen. Nicht alle Kameraden dächten so. Als Kampfmittelabwehrsoldat habe er den Peschmerga-Soldaten beigebracht, wie man Kontrollpunkte errichtet, Hausdurchsuchungen durchführt, Zugriffsoperationen plant und IS-Kämpfer festsetzt.

Mit dem neuen Mandat sei es anders, doch das mache Sinn, sagt Tim. Jetzt verwaltet er das Trainingszentrum. Und wie denken die Kurden über die Ausweitung des deutschen Mandats nach Bagdad? Gibt es Ressentiments? „Nein“, antwortet der Hauptmann, „im Gegenteil. Sie verschließen sich nicht einer gemeinsamen Ausbildung, sie versprechen sich davon sogar zusätzlichen Gewinn. Diese Beobachtung überrascht, denn stets haben die Kurden es als ihr Privileg angesehen, deutsche Waffen und Ausbilder zu bekommen. Die Armee in Bagdad ging bislang leer aus.

Gegen 13 Uhr füllt sich die „Oase“ im Militärcamp, wo es Cordon Bleu und Schnitzel gibt. Hier essen auch Schweden und Holländer, während die Bar den deutschen Soldaten vorbehalten ist. Dort gibt es deutsches Bier, einen Billardtisch, Clubsessel. Man kapselt sich ab. „Wir wollen halt mal unter uns sein“, ist die Antwort auf die verwunderte Frage nach dem europäischen Korpsgeist der Truppe. Von der gerade wieder von den Politikern beschworenen engeren militärischen Zusammenarbeit der Europäer ist in Erbil wenig zu spüren.

Ein Schwerpunkt des neuen Mandats der Bundeswehr im Irak sei die Kooperation der Peschmerga mit der irakischen Armee, meint Kommandeur Andreas Steinhaus, der neben der „Oase“ im Innenhof des Camps zum Gespräch Platz nimmt. Die politischen Gräben überwinden zu helfen, ist für den Oberst das, worauf es jetzt im Irak ankommt. Bei den Peschmerga gäbe es einige Offiziere, die noch in der irakischen Armee unter Saddam Hussein ausgebildet wurden. Die hätten keine Berührungsängste mit der regulären Armee. Dort müsse man ansetzen. Ansonsten habe die irakische Regierung in Bagdad kein Konzept zur Versöhnung. Die Leute blieben sich weitgehend selbst überlassen.

Hier sieht der Bundeswehroffizier Handlungsbedarf. Denn in den befreiten Gebieten im Nordirak herrschten zuweilen die Schiitenmilizen, vor deren Rache die sunnitischen Bewohner Angst hätten. Gelinge die Versöhnung zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen nicht, könnten der IS oder andere Extremisten wieder Fuß fassen. Besonders in den umstrittenen Gebieten sei die Situation heikel. Dazu zählt die Ölstadt Kirkuk, aber auch Städte wie Sinjar an der Grenze zu Syrien und Karakosch, die Christenstadt in der Nähe von Mosul. Die Kurden beanspruchen die Gebiete für sich, Bagdad ebenfalls.

Der Konflikt droht stets zu eskalieren. „Die Extremisten nützen das aus“, weiß Steinhaus. Die staatlichen Strukturen des IS seien zwar zerschlagen, aber einige der Dschihadisten seien noch da. „Wir können jetzt nicht abziehen“, sagt Steinhaus. „Wenn hier etwas schiefgeht, haben wir das nächste große Flüchtlingsproblem. Wir können die Region nicht sich selbst überlassen.“

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