Frankreich nach dem WM-Sieg Ein Land in Blau

Paris · Der Weltmeistertitel gibt Frankreich neues Selbstvertrauen. Auch der Präsident könnte wie schon 1998 vom Erfolg der „Bleus“ profitieren.

 Fans feiern den WM-Titel in Paris.

Fans feiern den WM-Titel in Paris.

Foto: dpa/Thibault Camus

Didier Deschamps ist kein Mann der großen Worte. Doch in seinem ersten Interview nach dem Gewinn der Weltmeistertitels ergreift auch den sonst so nüchternen 49-Jährigen das Pathos. “Vive la république“ sagt der Trainer der französische Nationalmannschaft. Der Satz wirkt auf dem Rasen von Moskau keineswegs deplatziert, denn er passt zu Deschamps junger Elf. Sie verkörpert die „Republik, die wir lieben“, schreibt die Zeitung „Libération“. „Vereint und unterschiedlich, patriotisch und offen, national und nicht nationalistisch.“ Kylian Mbappé und Co. als Vorbilder eines neuen Frankreichs.

Der 19-Jährige, der es aus der Pariser Vorstadt Bondy zum Weltstar schaffte, sagt das auch ganz offen: „Ich will Frankreich verkörpern und alles für Frankreich geben.“ Er gehört zu den Vertretern eines entspannten Patriotismus, für den auch Deschamps steht. Der Coach spielte 1998 in der Weltmeisterelf, als Frankreich im eigenen Land zum ersten Mal den Titel holte. Es war die Mannschaft „Black, blanc, beur“, die als Beispiel einer gelungenen Gemeinschaft von Schwarzen, Weißen und nordafrikanischen Einwanderern gefeiert wurde. Bis dann die Vorstadtunruhen 2005 den Traum von der gelungenen Integration zerstörten.

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Foto: REUTERS/DYLAN MARTINEZ

Wohl auch deshalb will die Siegerelf des Jahres 2018, von der ebenfalls die meisten einen Migrationshintergrund haben, nicht mit der um Zinédine Zidane verglichen werden. „Jede Mannschaft hat ihr Geschichte. Wir sind gekommen, um unsere Geschichte zu schreiben“, sagt Mbappé, der ein halbes Jahr nach dem ersten WM-Titel geboren wurde. In Bondy hat er selbst erlebt, dass der Aufstieg aus der Banlieue nur selten gelingt. „Diese Siegermannschaft hat etwas Einigendes. Aber sie wird nicht wie von Zauberhand die sozialen und territorialen Unterschiede in unserem Land wegwischen“, warnt der Soziologe Stéphane Beaud in der Zeitung „Journal du Dimanche“.

Dass die Jungs von Deschamps trotzdem als Vorbilder herhalten müssen, machte Emmanuel Macron schon direkt nach dem Sieg in der Kabine deutlich. „Ihr seid ein Beispiel für ganz viele Jugendliche und das ganze Land wird auf euch schauen“, sagte der 40-jährige Fußballfan, der schon in der Ehrenloge vor Begeisterung auf den Tisch gesprungen war. Der Präsident sieht in der Siegerelf jene „Ersten der Seilschaft“, die mit ihrem Erfolg das ganze Land mit sich nach oben ziehen sollen.

Empfang im Elysée

„France is back“ verkündete der frühere Wirtschaftsminister zu Beginn seiner Amtszeit. Mit dem Weltmeistertitel bewahrheitet sich das zumindest in sportlicher Hinsicht. Und der Glanz des Erfolgs könnte auch auf den Präsidenten abstrahlen, der zuletzt in den Umfragen abgesackt war. Wie 1998, als Jacques Chirac mit dem ersten Erfolg der Bleus 15 Prozentpunkte in den Umfragen gewann. Ähnlich wie Chirac wird auch Macron die Mannschaft im Elysée empfangen. Rund tausend Jugendliche aus den Städten, aus denen die Spieler kommen, hat er dazu eingeladen. Es soll ein Zeichen sein, dass der Staatschef eben kein „Präsident der Reichen“ ist, als der er kritisiert wird. Sondern ein Präsident des Volkes. Und zwar einer, der den Moment des Sieges in vollen Zügen auskostet. Nicht nur für sich, sondern auch für Europa. „Europa ist im Finale“, sagte er vor dem Endspiel und nahm nach dem Sieg die kroatische Präsidentin Kolinda Krabar-Kitarovic gleich mit in die Kabine seiner Mannschaft.

Nach dem Empfang der „Bleus“ nimmt Macron allerdings schnell seine Alltagsgeschäfte wieder auf. Schon am Dienstag steht ein Treffen mit den Sozialpartnern auf der Agenda, um die anstehenden Reformen zu besprechen. Denn bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hilft der Weltmeistertitel nur wenig. Nur 33 Prozent der Franzosen sind laut einer IFOP-Umfrage der Meinung, dass der Weltmeistertitel sich positiv auf die Wirtschaft auswirken wird. 41 Prozent glauben, dass sich nichts ändert. Das wird sie aber nicht daran hindern, am Montag erst einmal ihre Mannschaft zu feiern.

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