Laura Henßen berichtet von der grünen Insel Eine Weselerin in Irland

Wesel · Neun Monate des Jahres verbringt unsere Autorin Laura Henßen in Galway, der westlichsten Stadt Irlands. Die Regenquote ist außergewöhnlich hoch, ebenso die Pub-Dichte Das Studium an der National University of Ireland Galway hat also seine Vor- und Nachteile. Ein Reisebericht.

  Killary Harbour ist Irlands einziger Fjord. Einer der vielen schönen Flecken, die Irland zu bieten hat.

 Killary Harbour ist Irlands einziger Fjord. Einer der vielen schönen Flecken, die Irland zu bieten hat.

Foto: dpa-tmn/Chris Hill

Mit 23 Kilogramm Koffer, Tennisschläger und Schulenglisch im Gepäck machte ich meine ersten Erfahrungen mit echten Iren. Ich stand im Aufzug des Flughafens Dublin, Terminal 1, und hielt dem Ehepaar, das nach mir den Lift betrat, die Tür mit meinem Fuß auf. Beide bedanken sich und stellten mir eine Frage im breitesten irischen Akzent. Sie hielten mich vermutlich für eine Irin, was man ihnen nicht verdenken kann. Meine Haare sind typisch irisch rot, mein Englisch war jedoch auf Schülerniveau. Monate zuvor erschien mir die Idee perfekt. Nach dem Abitur im englischsprachigen Ausland studieren. Nach dieser Dialektkonfrontation bezweifelte ich allerdings stark, dass ich meine Professoren in den Vorlesungen überhaupt verstehen könnte. Die kleine Episode zeigt: In Irland kommt es erstens anders, und zweitens als man denkt.

Ich lebe in Galway City, zwei Stunden Busfahrt vom Flughafen Dublin entfernt. Dort bezog ich mein erstes Zimmer in einem Hostel, in der Innenstadt Galways. Nach drei Semestern Politikstudium kenne ich heute einige Gründe, die zu meiner heiklen ersten Wohnsituation geführt haben. Und zumindest seit der Finanzkrise, die Irland im vollen Ausmaß getroffen hatte, gibt es einen Engpass an Unterkünften und Wohnraum, was direkte Auswirkungen auf die Anzahl und den Preis der Studentenunterkünfte hat. Mit mir im Hostel leben 130 Mitstudenten, die wie ich, keine der hart umkämpften Unterkünfte zum Start des akademischen Jahres ergattern konnten.

 Laura Henßen ging in Wesel zur Schule und lebt jetzt in Irland.

Laura Henßen ging in Wesel zur Schule und lebt jetzt in Irland.

Foto: Henßen

Mir behagte die Wohnsituation erst nicht. Trotzdem und aus Mangel an Alternativen, bezog ich Ende September mein Zimmer von wenigen Quadratmetern. Das teilte ich mir mit drei anderen Mädchen, sieben Tage die Woche. Mein Schrank war eine verschließbare Kiste unter den Stockbetten, der Tennisschläger fand Platz in einer der Abstellkammern des Hostels. Es hört sich schlimmer an, als es ist. In Irland ist es üblich, dass die Studenten über das Wochenende nach Hause fahren, um ihren Nebenjobs nachzukommen. Viele unterstützen ihre Eltern beim Finanzieren des Studiums, das im Durchschnitt 3224 Euro im Jahr kostet. Schwieriger ist die Finanzierung der Lebenshaltungskosten, die die teils großen Familien für ihre Kinder aufbringen müssen.

Ich hatte also zumindest über das Wochenende größere Teile des kleinen Zimmers zur freien Verfügungen. Drüber hinaus, ist es für eine deutsche Studentin im fernen Irland nicht die schlechteste Ausgangslage, sich mit den anderen Leidensgenossen über die vermeintlich unglückliche Wohnsituation auszutauschen. Offen sein und viel reden. Das wurde zur Hauptaufgabe in den ersten Wochen meines Studiums. Und schnell stellte sich in den Gesprächen heraus, dass der gemeine Ire sehr speziell sein kann. Irland unterscheidet sich von Deutschland. Die Menschen sind offener und freigiebiger, deutlich unstrukturierter, wenn es um Arbeit geht und in den Pub geht es gerne schon vor zwölf Uhr Mittags. Und da ist man auch nicht scheu oder beschämt, sondern kultiviert den Genuss eines Pints of Guinesse“ im Studentenleben. Meinen besten Freund traf ich in der ersten Woche um zwölf Uhr an einem regulären Vorlesungstag in der Studentenbar auf dem Campus der Universität. Ich war erstaunt, habe mir ein Getränk bestellt und treffe mich noch heute gerne in der Studentenbar. Wenn auch zu etwas spätere Stunde und nach getaner Arbeit. So deutsch bin ich dann schon.

Leben und studieren in Irland bedeutet etwas anderes als in Deutschland. Die Universität stellt alles zur Verfügung, was man braucht. Die Suche nach der Unterkunft wird durch ein Büro der Universität unterstützt, der Ärztetrakt der Universität mit freier Behandlung befindet sich im gleichen Gebäude wie die Studentenbar, das Rezept löst man in der Apotheke neben dem Vorlesungssaal ein, der Shop unter der Bibliothek deckt dich zur Not mit dem nötigen Nudelvorrat, Keksen, und Büchern ein und in den insgesamt 14 Cafés des Campus lässt es sich gut bei einer Tasse Tee mit Kommilitonen entspannen. Und dabei ist die Kultur des sozialen Teetrinkens etwas, das man in Deutschland vergeblich suchen kann.

Wenn man sich in Irland – ganz gleich zu welcher Stunde – in einem Café trifft, wenn man nach Hause eingeladen wird oder nur mal eben zwischendurch, der Schwarztee ist allgegenwärtig. Und man wird nie ein besseres Gespräch führen, als über einen gut abgeschmeckten Tee irgendwo in Irland. Populär für Studenten sind auch die einzelnen Motto-Tage, die wiederkehrend eine Ablenkung vom stressigen Universitätsalltag bieten. St. Patrick’s Day, Halloweenpartys, eine Weihnachtsparty Anfang November oder Pferderennen.

Irische Studenten sind kreativ, wenn es darum geht, Ausreden für ausgiebiges von der Universität veranstaltetes Feiern zu finden. Und der irische Student bezahlt gerne 25 Euro für die Eintrittskarte zum Pferderennen, deren Erlös dem guten Zweck zukommt. Die Damen natürlich mit Hut, im aufwendigen Kleid und mit auf geschmierter Bräune und der stilbewusste Mann mit Spazierstock und dem Wettpapier auf Pferd Nummer 8 in der Hand. Ob die Mädchen frieren in ihren dünnen Kleidern und ohne Jacke? Bestimmt. Aber in Irland ist das Wetter immer schlecht und man ist an die schlechten Wetterlagen gewöhnt.

Bildungspolitik ist auch in Irland oft ein Streitthema: In meinem ersten Semester war ich Teil eines Protestes gegen die Abschaffung von SUSI, einer Art irischem BAföG. SUSI ist oft entscheidend für den Studenten, um die Gebühren der Universität zu bezahlen. Weiterführende Bildung in Irland ist nicht umsonst und irische Familien sind oft groß und müssen viele Kinder unterstützen. Auch wenn ich selbst als EU-Auslandsstudentin kein SUSI beziehen kann, ist es in Irland normal, für die allgemeine Sache der Studierenden zu protestieren. Besonders, wenn die Aktion von den einzelnen Studentenunionen unterstützt wird. Und ein Ausflug in Irlands Hauptstadt Dublin lohnt sich und geht schnell. Anders ist da die Erreichbarkeit kleiner Ortschaften Irlands.

Irland ist ländlich. Insgesamt gibt es auf der Insel gerade mal fünf größere Städte. Drei in der Republik Irland, da Belfast zu Nordirland gehört und der Ire gerne über Limerick mit dem schlechten Ruf schweigt. Dublin, Cork, Limerick und Galway sind durch die gradlinigen Autobahnen verbunden, die sich durch die Felderlandschaften der Insel ziehen. Wer abseits dieser Straßen wohnt, sieht sich oftmals isoliert von öffentlich Verkehrsmitteln. Es herrschen Verkehrssituationen, die hier zu Lande unvorstellbar wären. Ein Vergleich: In sechs Stunden kann man mit dem Flugzeug von Irland über die irische See, England und die Nordsee an den Niederrhein gelangen. Ein irischer Student aus dem nördlichen Donegal braucht die gleiche Zeit, um über enge Straßen nach Hause zu kommen.

Irland ist schön ländlich. Weite Landschaften, schroffe Felsen und steile Küsten, endlose Ausblicke über die dunkle See, intensivstes Grün und Schafherden schlafend am Straßenrand. Das Auto bietet sich am besten für einen Rundtrip an. Nur so erreicht man die verlassenen Ruinen und Burgen oder die abgelegenen Ansammlung von Häusern in einer Bucht im tiefsten Connemara. Und wer jetzt die Cliffs of Moher oder die Abtei von Kylemore sehen will, der sollte losfliegen, aber eines nicht vergessen: den Regenmantel und wetterfeste Schuhe einpacken. Es könnte regnen.

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