Kolumne Himmel & Erde Neue Lampen leuchten gut

Wesel · Es sind Kleinigkeiten, die zeigen, was uns aktuell beschäftigt. Dazu gehört zum Beispiel eine neue Lampe über dem Waschtisch, die viel heller leuchtet als die alte. Sie offenbart Sorgen und Fragen, die uns den Schlaf rauben.

 Stefan Sühling ist Pfarrer in St. Nikolaus Wesel.

Stefan Sühling ist Pfarrer in St. Nikolaus Wesel.

Foto: Klaus Nikolei

Nach fast zehn Jahren hatte die Leuchte über meinem Waschtisch den Dienst quittiert. In den zurückliegenden Wochen war ihr Schein Schritt für Schritt weniger geworden und hatte das Bad in ein gemütliches Halbdunkel getaucht. Und nun war endgültig Schluss. Die morgendliche Premiere der neuen Leuchte war in mehrfacher Hinsicht eine Erleuchtung.

Angelehnt an das „Besen-Motto“ galt: „Neue Lampen leuchten gut!“ Anders als zuvor ist das Bad nun gefühlt in Scheinwerferleicht getaucht. Und damit geht die zweite Erleuchtung einher. Das Gesicht im Spiegel schaut mich nicht mehr im freundlichen Halbdunkel an. Das scheinwerferhelle Licht offenbart ohne Rücksicht die Spuren der zu kurzen letzten Nacht. Die durchgrübelten schlaflosen Stunden, die in Traum oder Halbschlaf wieder und wieder durchlebten Erinnerungen an den jüngst verstorbenen Vater, die trotz allen Nach- und Weiterdenkens ungelösten Fragen, sie alle zeichnen ihre Spuren ins Gesicht. Das neue Licht bringt sie zum Vorschein und weckt meine Eitelkeit.

Soll ich nun dem neuen Licht gram sein? Es bringt doch nur zum Vorschein, was ist. Es lässt mich Sorgen und Fragen ahnen, die mich nachts umtreiben. Es zeigt mir die Grenzen meiner Souveränität auf. Mag ich auch im täglichen Tun und Lassen mit Gelassenheit die nötigen Antworten finden – es gibt sie eben doch, die Angst und Unsicherheit, die in den Kleidern nicht hängen bleiben, die ich mit in den Schlaf nehme und mir diesen manchmal rauben.

Die neue Leuchte im Bad. Sie ist ein Schlaglicht allerdings auch auf die Fältchen, die Lachen und glückliches Lächeln hinterlassen. Das ganze Leben hinterlässt Spuren, die glücklichen wie die schweren Stunden. Vor einigen Jahren hatte ich auf meinen Spiegel im Bad einen kurzen Satz geklebt, den die Bibel von der Taufe Jesu berichtet: „Du bist mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Gefallen!“ Daran muss ich nun immer wieder morgens denken, wenn ich mir im neuen, hellen Licht ins Gesicht schaue: Gott hat Gefallen gefunden an Dir, auch und gerade mit den Spuren, die das Leben in dieser Nacht neu in Dein Gesicht gezeichnet hat.

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