Vortrag des Bergischen Geschichtsvereins 5000 Vertriebene „landeten“ in Wermelskirchen

Wermelskirchen · Auf Basis seiner Masterarbeit referiert Marc Pawlowski Mariano in einem Online-Vortrag des Geschichtsvereins unter dem Titel „Fremde Nachbarn“ nicht nur über Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg.

 Der Bund der Vertriebenen initiierte das 1950 errichtete Mahnmal „Kreuz des Ostens“, an dem alljährlich der Vertriebenen gedacht wird und das die Anwesenheit der Vertriebenen im Stadtbild selbst manifestiert.

Der Bund der Vertriebenen initiierte das 1950 errichtete Mahnmal „Kreuz des Ostens“, an dem alljährlich der Vertriebenen gedacht wird und das die Anwesenheit der Vertriebenen im Stadtbild selbst manifestiert.

Foto: BGV-Archiv

Als Mahnmal und Gedenkstätte markiert das 1950 an der Dhünner Straße vom Bund der Vertriebenen errichtete „Kreuz des Ostens“ bis heute die Erinnerung an die Situation der Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg Haus und Hof in Osteuropa verloren. Rund 5000 von ihnen kamen zwischen 1945 und 1957 nach Wermelskirchen. Damit hatte die Kleinstadt im Bergischen in Relation zur Bevölkerung eine der höchsten Aufnahmeraten im damaligen Rhein-Wupper-Kreis: Lediglich Leverkusen (9000) und Opladen (3500) verzeichneten eine höhere Aufnahmerate. Davon berichtete Marco Pawlowksi Mariano in einem Online-Vortrag der Wermelskirchener Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins (BGV) vor 25 Teilnehmern.

Vor drei Jahren widmete sich der studierte Historiker unter dem Titel „Fremde Nachbarn – Vertriebene in Wermelskirchen 1945 bis 1957“ dem Thema, mit dem er seine Master-Arbeit verfasste und auf der sein Referat fußte. „Mit der Master-Arbeit zu diesem Thema hat der Autor eine Lücke in der Geschichtsschreibung von Wermelskirchen geschlossen“, kommentierte der Wermelskirchener BGV-Vorsitzende Volker Ernst, dessen Vater selbst gebürtig aus Hinterpommern stammt.

Es sei eine der größten Herausforderungen für die junge Bundesrepublik gewesen, Millionen Vertriebene aus Mittel- und Osteuropa einzugliedern, stellte Marco Pawlowksi Mariano fest. 1939 hätten jenseits der Oder-Neiße knapp zehn Millionen Deutsche gelebt. Rechne man weitere Ostgebiete hinzu, addiere sich die Zahl auf 18,3 Millionen Menschen, von denen zwischen zwölf und 14 Millionen ihre Heimat verloren.

Während 1944/45 mit dem Vorrücken der Roten Armee, die sogenannten „Wilden Verteibungen“ begannen, folgten ab August 1945 die durch das Potsdamer Abkommen festgeschriebenen „Umsiedlungen“. Galt kurz nach dem Krieg die allgemeine Bezeichnung Flüchtling, führten die US-Militärverwaltung und später die englische die Wortwahl Vertriebene und Heimatvertriebene ein. Damit sollte die Endgültigkeit der Lage der heimatlosen Deutschen, für die es keine Hoffnung auf Rückkehr gab, klar gestellt werden, erläuterte Marco Pawlowksi Mariano.

„Wenngleich Wermelskirchen vergleichsweise wenig Vertriebene aufnahm und vergleichsweise wenig zerstört war, stellte die Aufnahme der Vertriebenen eine gewaltige Bewährungsprobe dar“, resümierte der Referent: „Die Faktoren Wohnen und Arbeit waren dabei entscheidend.“ Selbst 1957 seien noch nicht alle Sammelunterkünfte außer Betrieb gewesen. Eine Wohnbaracke am Hagener Berg sei beispielsweise erst 1960 abgerissen worden, wie Pawlowksi Mariano anhand eines historischen Fotos dokumentierte.

Mitte April 1947 habe es den Höchststand der prekären, beengten und kaum menschenwürdigen Lager-Unterbringung von Vertriebenen in Wermelskirchen gegeben: Zu diesem Zeitpunkt hausten 543 Personen, davon 228 Kinder, in 19 Notunterkünften. Aus dieser Zeit fand der Historiker auch einen CDU-Antrag, der forderte, Gewerberäume zur Unterbringung zu nutzen, was die problematische Lage verdeutlicht. Als Notunterkünfte dienten Sporthallen oder das Evangelische Vereinshaus.

Unbeliebt war damals das Wohnungsamt, wie ein Zeitungsartikel der Bergischen Morgenpost aus dieser Zeit berichtet. Der Grund: Das Amt suchte in privaten Wohnungen nach „freien“ Zimmern. „Überliefert ist, dass die Menschen versuchten, Zimmereingänge mit davor platzierten Schränken vor den Augen des Wohnungsamtes zu verbergen“, sagte Marco Pawlowksi Mariano. Bereits Ende 1945 werden 800 Privatquartiere zur Unterbringung von Heimatvertriebenen genutzt, 300 Einsprüche von Bürgern liegen der Amtsgemeinde Wermelskirchen dagegen vor.

Besserung der schlechten Versorgungslage habe die Währungsreform im Juni 1948 gebracht – auf der einen Seite waren die Vertriebenen eine soziale Belastung in Zeiten äußerst schwieriger Umstände (Lebensmittel- und Wohnungsknappheit), andererseits waren sie benötigte Arbeitskräfte, beschrieb der Referent die damalige Situation.

Immerhin entwickelte sich in Wermelskirchen ab 1947 politische Teilhabe: Mit einem ständigen Sitz in einem Teil der Ausschüsse vertrat die Ortsvereinigung der Ostvertriebenen die Interessen. 1949 erlangte die Partei „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE) mit 6,7 Prozent der Stimmen zwei Sitze im Stadtrat. „Die Zusammenarbeit mit BHE muss sich vertrauensvoll entwickelt haben, denn mit Alfons Klatt wurde einer der BHE-Ratsherren in 1956 sogar stellvertretender Bürgermeister“, blickte Marco Pawlowksi Mariano zurück.

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