Fußball-Bezirksliga Der 1. FC Viersen steht am Scheideweg

Analyse Die Entwicklung des großen Traditionsvereins 1. FC Viersen kannte zuletzt nur eine Richtung: abwärts. In der kürzlich beendeten Saison lief es nicht nur auf dem Platz schlecht, der angepeilte Wiederaufstieg scheiterte krachend. Mit einem neuen Trainer soll aber alles besser werden.

 Mit Trainer Kemal Kuc (vorne links) soll in Viersen alles besser werden.

Mit Trainer Kemal Kuc (vorne links) soll in Viersen alles besser werden.

Foto: Dieter Wiechmann/Wiechmann, Dieter (dwi)

Wer gedacht hatte, der große Traditionsverein 1. FC Viersen sei nach dem ersten Abstieg in die Fußball-Bezirksliga seit der Fusion von VfL Grün-Weiß Viersen und FC Germania Viersen im Jahr 1969 am Tiefpunkt angekommen, der sieht sich nach der Anfang Juni beendeten Saison getäuscht. Obwohl der Sportliche Leiter Daniel Saleh, damals noch Trainer, Mitte Juni 2018 gesagt hatte, dass er sich seine Wunschmannschaft zusammengestellt habe und der Aufstieg nur über den 1. FC Viersen gehe, ist die direkte Rückkehr in die Landesliga krachend gescheitert. Sah es unter Interimscoach Klaus Fleßers anfänglich noch gut aus, verzweifelte der Ehrenvorsitzende des FC in der zweiten Hälfte der Rückrunde an der Mannschaft. Das gipfelte nach dem 2:4 am letzten Spieltag gegen Strümp in der Aussage: „Ich habe in meinem ganzen Leben wirklich noch nie so eine charakterlose Mannschaft trainiert.“ Das Ergebnis war ein enttäuschender 13. Tabellenplatz.

Doch nicht nur auf dem Platz produzierten die Viersener negative Schlagzeilen. Nach der Absage der Meisterschaftspartie Ende April gegen Victoria Mennrath aus personellen Gründen musste der 1. FC einen Shitstorm über sich ergehen lassen, Wettbewerbsverzerrung war da fast da schon ein netter Vorwurf. So kommentierte ein Nutzer auf der Facebook-Seite der Viersener: „Was ist aus dem Verein geworden. Unfassbar?“ Doch damit nicht genug, im Zusammenhang mit der Spielabsage folgte eine Maulwurf-Affäre. Bei unserer Redaktion meldete sich ein FC-Spieler und behauptete, gegen Mennrath hätten sehr wohl elf fitte Spieler zur Verfügung gestanden, die Sportliche Leitung habe über die Köpfe der Spieler und Trainer hinweg die Partie abgesagt. Das Brisante daran: Weil die Erstvertretung nicht antrat, konnte die im Abstiegskampf befindliche Reserve in der Kreisliga A personelle Unterstützung bekommen und gewann auch prompt. Ein Artikel zur Maulwurf-Affäre provozierte bei Fußball-Portal FuPa den Leserkommentar: „Peinlich, der 1. FC Viersen ist nicht mehr mein Verein. Damals war der FC eine Größe, heute eine Lachnummer.“

 Klaus Fleßers (l.) im ersten Spiel nach seinem Trainer-Comeback beim 1. FC Viersen.

Klaus Fleßers (l.) im ersten Spiel nach seinem Trainer-Comeback beim 1. FC Viersen.

Foto: Knappe, Joerg (jkn)

Doch die Viersener erhielten auch Zustimmung, was durchaus nachvollziehbar ist. Denn in der ohne Frage kritischen Lage mit Blick auf die Gesamtentwicklung des Vereins haben die Verantwortlichen alle Möglichkeiten innerhalb der Regeln ausgeschöpft, um das Optimum für den Verein herauszuholen. Das hätten die meisten anderen Klubs sicher so oder so ähnlich gemacht. Was viel mehr bedenklich ist, ist die Entwicklung, mit der sich die Viersener in den vergangenen Jahren in diese Lage hineinmanövriert haben. Seit der Saison 2016/2017 wurden Jahr für Jahr große Teile des Kaders ausgetauscht und dabei immer mehr Spieler vertrieben, die sich zuvor große Verdienste bei den Viersenern erworben hatten. Die Mannschaft verlor immer mehr ihre Identität, wirkte eher in der Not zusammengebastelt denn durchdacht geplant. Was anfangs unter Trainer Willi Kehrberg in Zusammenarbeit mit Obmann Ronny Mustac noch als notwendige Verjüngung deklariert wurde, entwickelte sich nach Kehrbergs Entlassung im März 2017 zu einer immer offensichtlicher verfehlten Personalpolitik. Zunächst scheiterte Trainer Steve Jäck, der das Team zunächst noch sensationell in der Landesliga gehalten hatte, in Zusammenarbeit mit Mustac und dem neuen Sportlichen Leiter Daniel Saleh daran, dem Kader personelle Stabilität zu verleihen. Als Jäck dann gehen musste, übernahm Saleh als Trainer, konnte den Gang in die Bezirksliga trotz phasenweise ansprechender Leistungen aber auch nicht mehr abwenden. Dann stellte sich Saleh unter Mithilfe von Mustac seinen Wunschkader zusammen - Ergebnis siehe oben.

Immerhin, als Saleh im Dezember den Trainerposten an Fleßers übergab und sich wieder ganz auf den Posten des Sportlichen Leiters konzentrieren konnte, gelang dem Duo Saleh/Mustac mit der Verpflichtung von Trainer Kemal Kuc ein Coup. Hinzu kamen etliche namhafte Spieler, so dass Saleh Anfang Februar sogar von einer Aufbruchstimmung im Verein sprach. Dann kam allerdings der gruselige zweite Saisonabschnitt. In der Folge gab es noch mal personelle Verwerfungen, so dass der neuerliche Umbruch noch mal anders ablaufen wird, als vor einigen Wochen noch geplant. Seit Saisonende ist es ziemlich still geworden, von Aufbruchstimmung ist zumindest nach außen nicht mehr viel zu spüren, obwohl demnächst das modernisierte Stadion am Hohen Busch eröffnet werden soll und das neue Team bald mit der Vorbereitung beginnt.

Doch so viel ist sicher: In der neuen Saison soll mal wieder alles besser werden. Der Unterschied ist nur: Mit den bislang getätigten Transfers inklusive Trainer Kemal Kuc sind die Viersener zum Aufstieg verdammt. Das bedeutet mit einer völlig neuen und damit uneingespielten Mannschaft einen enormen Erfolgsdruck vom ersten Spieltag an. Ein neuerliches Scheitern würde sicher weitreichende Konsequenzen haben für den Traditionsverein. Doch so weit ist es noch nicht. Denn wer am Scheideweg steht, der kann bekanntlich auch die richtige Richtung einschlagen.

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