Lesung der Stadtbücherei Nicht zum beömmeln, sondern besonders

St. Tönis · Sprachwissenschaftler Peter Honnen geht der Herkunft typisch rheinischer Begriffe auf den Grund. Bei seiner Lesung im St. Töniser Ratssaal räumte er mit einigen weitverbreiteten sprachlichen Legenden auf.

 Peter Honnen sprach über die Wortherkunft von unterschiedlichen Begriffen vom Niederrhein.

Peter Honnen sprach über die Wortherkunft von unterschiedlichen Begriffen vom Niederrhein.

Foto: Norbert Prümen (nop)

Die Franzosen sollen es gewesen sein, die dem Rheinland den schönen Begriff „Fisematenten“ geschenkt haben. Der Sprachlegende nach haben die napoleonischen Soldaten nämlich mit der Aufforderung „Visitez ma tente“ (Besucht mein Zelt) versucht, die rheinischen Mädchen in ihr Zelt zu locken.

„Alles Quatsch“ sagt Sprachwissenschaftler Peter Honnen, der auf Einladung der Tönisvorster Stadtbücherei in den Ratssaal gekommen ist. Tatsächlich sei der Begriff schon in einer mittelalterlichen Quelle aufgetaucht. Mit „visae patentes literae“ oder kurz „visepatentes“ sei ein umständlich zu erlangendes Patent gemeint gewesen, mit dem in der Amtssprache des 15. Jahrhunderts Urkunden bestätigt wurden.

So geht sie dahin, die romantische deutsch-französische Freundschaft. Aber Peter Honnen ist nicht nach St. Tönis gekommen, um Romantik zu verbreiten, vielmehr will der Sprachwissenschaftler vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte in Bonn seine Zuhörern ganz nüchtern und wissenschaftlich darüber aufklären, wo die Begriffe herkommen, die größtenteils nur im Rheinland gebräuchlich sind und in anderen Regionen auf völliges Unverständnis stoßen.

„Wo kommt dat her?“, ist dann auch der Abend mit dem 64-Jährigen überschrieben. Das Rheinland, sagt der Mann, der sich seit 35 Jahren mit der Wissenschaft der Sprache beschäftigt, sei eine besonders interessante Sprachregion. „Nirgendwo in Europa gibt es so viele Dialekte und sind so viele alte Wörter erhalten, wie hier“, weiß Honnen, der gebürtig aus Duisburg-Rheinhausen stammt. Das liege daran, dass die Römer sehr lange im Rheinland ansässig waren und die Schriftsprache eingeführt haben. Aber auch keltische und germanische Wörter fänden sich noch unter den typische rheinischen Begriffen, weiß Honnen.

„Die Sprache ist das einzige lebendige Zeugnis aus der Vergangenheit der Region“, sagt der Sprachwissenschaftler und räumt gleich mit noch einer Sprachlegende auf: Nicht die Menschen aus dem Ruhrgebiet haben das Wort „Pütt“ erfunden, es waren die Römer. „Puteus heißt im lateinischen Brunnen, daraus wurde im Laufe der Jahrhunderte der Pütt“, sagt Honnen. Auch der Begriff „Söller“ für Dachboden stamme aus der lateinischen Sprache: Solarium hieß bei den Römern die der Sonne zugewandte Seite des Daches.

„Und Kappes, niederrheinisch für Kohl, kommt vom lateinischen caput für Kopf“, erklärt Honnen. Und wie nannten die Römer eine verschleimte Nase? „Pips“, ein 2000 Jahre altes Wort, das im Rheinland heute nach gebräuchlich ist für Schnupfen. „Schäbbig“ hingegen komme von den Germanen. „Schabb war so etwas wie Räude oder Kratzer“, erklärt der Sprachwissenschaftler. Das Wort „verschütt“ hingegen stamme aus der alten Gaunersprache und meinte dort „verhaftet“. Und die Redewendung „Die is op jöck“ wiederum sei aus dem Mittelalter erhalten geblieben und meinte dort „bei der jouche“, sprich „auf der Jagd“.

Unzählige Beispiele hat der Sprachwissenschaftler ausgegraben und erforscht, und die Begriffe, die er nennt, führen bei den Zuhörern im Ratssaal, die bis dahin noch gar nicht wussten, dass sie Latein sprechen, immer wieder zu heftigem Kopfnicken. „Ja, das kennen wir“, soll das heißen, „so reden wir hier auch.“ Wie schön, dass im Rheinland so wenig verschütt geht.

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