NGZ-Gespräch mit Wilhelm Werhahn Unternehmer für Unternehmer

Infrastruktur ausbauen, Ausbildung fördern, auf Schuldenabbau bei den Kommunen drängen - Wilhelm Werhahn bleibt in seiner zweiten Amtszeit als Präsident der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein konsequent auf Kurs.

 Wilhelm Werhahn, Präsident der IHK Mittlerer Niederrhein: Der Pakt für Ausbildung ist ein Erfolg.

Wilhelm Werhahn, Präsident der IHK Mittlerer Niederrhein: Der Pakt für Ausbildung ist ein Erfolg.

Foto: NGZ

Herr Werhahn, Ihre zweite Amtsperiode als Präsident der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein hat gerade begonnen. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?

 Als Aufsichtsrat engagiert sich Wilhelm Werhahn für die ISR Internationale Schule am Rhein - hier beim Richtfest mit Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff.

Als Aufsichtsrat engagiert sich Wilhelm Werhahn für die ISR Internationale Schule am Rhein - hier beim Richtfest mit Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff.

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Wilhelm Werhahn Ganz oben steht die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Das Thema ist für die gesamte Region von großer Bedeutung, denn Logistik ist die Schwester der Globalisierung. Ohne Logistik können wir unseren großen Exportanteil — im Rhein-Kreis Neuss sind das 57 Prozent, womit wir landesweit den zweithöchsten Wert erreichen — nicht halten. Vor diesem Hintergrund betrachtet ist der sechsspurige Ausbau der Autobahn 57 zwischen Kamp-Lintfort und Köln ebenso wichtig wie der Ausbau des Flughafens Mönchengladbach oder die Anbindung des Schienengüterverkehrs in der Region an den Seehafen Antwerpen auf der hoffentlich bald wieder reaktivierten Linie des "Eisernen Rheins". Wir glauben, dass der Verkehrsbedarf besteht und sehen auch den ökologischen Vorteil der Verlagerung eines Teils des Güterverkehrs auf die Schiene. Die IHK hat in den vergangenen Monaten die Haushalte der Kommunen im Kammerbezirk unter die Lupe genommen.

Die IHK als Mahner gegen die dauerhafte Verschuldung — ein weiteres Ziel Ihrer neuen Amtszeit?

Werhahn Ich wünsche mir sparsame Kommunen. Die IHK ist der Meinung, dass sich mit einer sparsamen Haushaltsführung unter anderem auch die Gewerbesteuer senken lässt. Derzeit liegt die Gewerbesteuer in Neuss mit einem Hebesatz von 450 Prozent über der von Düsseldorf mit 445 Prozent. Das wird sich in Neuss negativ auswirken.

Wie sollten die Kommunen agieren?

Werhahn Wir glauben, dass zum Beispiel die Stadt Neuss, anstatt noch vier Jahre neue Schulden zu produzieren, bereits nach drei Jahren damit durch sein müsste, um dann in einen Tilgungsplan einzusteigen. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass eine Kommune weitgehend schuldenfrei sein sollte. Auf Dauer sollten die Städte und Gemeinden nur noch so viel Geld ausgeben, wie sie auch einnehmen. Das ist eine allgemeine Regel, die für jeden Bürger gilt. Daran sollten sich auch die Kommunen halten. Eine dauerhaft hohe Verschuldung ist der nächsten Generation nicht zuzumuten.

Was passiert, wenn es nicht gelingt, die Schuldenspirale zu stoppen?

Werhahn Werden etwa in Neuss weiter neue Schulden gemacht, ist die Ausgleichsrücklage von 77 Millionen Euro nach vier Jahren verbraucht, und die Stadt landet in der Haushaltssicherung. Der Handlungsspielraum der Politiker ginge in diesem Fall verloren. So wie Neuss begleiten wir auch Krefeld und Mönchengladbach. Die IHK nimmt sich dieses Themas an, wobei wir natürlich das Primat der Politik respektieren. Sie muss selbst entscheiden, wo gespart werden soll. Wir hoffen, mit unseren vergleichenden Untersuchungen zur Haushaltslage der Kommunen eine Entscheidungshilfe geben zu können.

Hilft aus Sicht der IHK auch das Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF), um die Verschuldung in den Griff zu bekommen?

Werhahn Natürlich begrüßt die IHK, dass die öffentlichen Haushalte jetzt auf der Grundlage der kaufmännischen Rechnungslegung erstellt werden. Die Stadt Neuss hat diese neue Vorgabe frühzeitig umgesetzt. Was noch nicht vorhanden sein kann, jedoch künftig wichtig sein wird, ist die Konzernbilanz. Es ist ja so, dass in manchen Tochtergesellschaften noch Schulden stecken, die man erst dann zu Gesicht bekommt, wenn eine Gesamtrechnung auf dem Tisch liegt. Dabei wird noch einiges zutage treten, was wir heute noch nicht kennen.

Stichwort Tochtergesellschaften: Man hat den Eindruck, dass immer mehr kommunale Aufgaben in Tochtergesellschaften verlagert werden, womit der Einfluss der Politik sinkt und das Haushaltsrecht des Rates ausgehöhlt wird…

Werhahn Diese Frage müssen die Politiker unter sich ausmachen. Ich will es so formulieren: Was soll passieren, so lange die Kommunen Eigentümer bleiben und die Politik 51 Prozent der Stimmen im Aufsichtsrat hat? Wenn die anderen 49 Prozent in der Hand von heimischen Kaufleuten wären, könnte ich mir gut vorstellen, dass die Arbeit dadurch professionalisiert würde. Das Beispiel der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Mönchengladbach, die genau mit dieser Struktur — die Stadt bestimmt, die Kaufleute beraten —, arbeitet, zeigt, dass damit hervorragende Ergebnisse zu erzielen sind.

Auch die Ausbildungssituation der jungen Menschen hat die IHK in den vergangenen Jahren stark beschäftigt. Wie setzen Sie diesen Kurs fort?

Werhahn Ausbildung ist der dritte große Schwerpunkt, den ich setzen möchte. Wir hatten im vergangenen Jahr neun Prozent mehr Lehrlinge im Kammerbezirk, und darauf sind wir sehr stolz. Wir haben 425 000 Euro investiert und zur Finanzierung unsere Gebühren um einen Euro pro Monat und Mitglied erhöht, um den Pakt für Ausbildung mit Leben zu erfüllen. Daran müssen wir weiterarbeiten. Wir engagieren uns auch für Jugendliche mit Handicap, damit auch sie einen Ausbildungsplatz oder zumindest ein Praktikum bekommen, um langsam in den Arbeitsmarkt hineinzuwachsen. Aber auch die ISR Internationale Schule am Rhein in Neuss ist wichtig als Ausbildungsfaktor, ebenso wie das Projekt "Bosse in Schulen" oder die Academy for Junior Managers im Norbert-Gymnasium Knechtsteden, eine Einrichtung, die wir gern auch anderswo installieren würden. Wir fördern zudem Patenschaften zwischen Schulen und Unternehmen, damit die Jugendlichen wissen, wie es in der Wirtschaft zugeht.

Von den großen Zielen zur Tagespolitik: Warum wirbt die IHK so nachdrücklich für die Herausnahme der Straßenbahn aus dem Hauptstraßenzug in Neuss?

Werhahn Wir sind auch zuständig für Infrastruktur und Einzelhandel und haben versucht, das Thema auf eine sachliche Basis zu stellen. Dazu gehört eine Befragung der Einzelhändler, die nach unseren Ergebnissen überwiegend der Meinung sind, dass die Straßenbahn-Trasse um 800 Meter verkürzt werden sollte. Außerdem haben wir die Fahrgäste zählen lassen und dabei festgestellt, dass die Straßenbahn nur in sehr geringem Umfang genutzt wird: Nur 800 Kunden fahren pro Tag mit der Straßenbahn in die Innenstadt. Das ist für ein so großes Verkehrsmittel doch sehr dürftig. Außerdem gibt es viele andere Möglichkeiten, die Innenstadt zu erreichen. Wir halten es daher für gut vertretbar, die Straßenbahn aus der Fußgängerzone herauszunehmen.

Ist der "dritte Weg" von Bürgermeister Herbert Napp, die einspurige Straßenbahn- Trasse, aus Sicht der IHK eine Alternative?

Werhahn Ich folge dem Vorschlag des Bürgers Herbert Napp, der erklärt hat, er sei der Meinung, dass die Straßenbahn raus aus dem Hauptstraßenzug sollte. Als Neusser Bürger freue ich mich, dass die Straßenbahndiskussion inzwischen auf einer viel breiteren Basis geführt wird. Es geht nicht mehr nur um 800 Meter Bahnlinie, sondern um die Zukunft der Innenstadt.

Was bestimmt diese Zukunft?

Werhahn Dazu gehört die Herausnahme der Straßenbahn, die für den Hauptstraßenzug neue und schönere Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet, aber auch die Ansiedlung eines neuen Einkaufszentrums, das die Struktur der Stadt berücksichtigen und nicht beschädigen sollte. Einen zweiten Meererhof, der die Stadtstruktur zerstört hat, darf es nicht noch einmal geben. Das neue Einkaufszentrum sollte passgenau in die Neusser Innenstadt integriert werden und nach allen Seiten offen sein, damit auch die umliegenden Einzelhändler davon profitieren können. Ein weiteres schönes Thema in diesem Zusammenhang ist der Hafen. Dort wird jetzt sichtbar, dass eine Kombination von industriell genutztem Hafen und Stadtentwicklungsmaßnahmen, die "Neuss am Rhein" zurück ans Wasser bringen, machbar sind. Auch das wird die gesamte Stadt nach vorn bringen — ich bin optimistisch, dass dies gelingt.

Die Neuss Düsseldorfer Häfen sind offensichtlich eine Erfolgsgeschichte. Könnte eine weitere Fusion mit dem Hafen Krefeld weitere Potenziale erschließen?

Werhahn Wer die Erfolgsgeschichte des Zusammengehens der Häfen Neuss und Düsseldorf betrachtet, fragt sich natürlich, ob das zu wiederholen ist. Die Stadt Krefeld verfügt in ihrem Hafen über große Gewerbeflächen, die in einem zusammengeführten Hafen gut genutzt werden könnten. Wenn so der zweitgrößte Binnenhafen Deutschlands entstehen würde, wäre das für die Region sicher auch kein Fehler.

Der neue Campus der ISR Internationalen Schule am Rhein in Neuss wächst in einem rasanten Tempo. Haben sich die Erwartungen der IHK an das Projekt erfüllt?

Werhahn Unsere Region — speziell der Rhein-Kreis Neuss — ist Standort für zahlreiche internationale Unternehmen. Wer solche Ansiedlungen fördern möchte, ist gut beraten, zwei Dinge vorzuhalten: gute Wohnmöglichkeiten und gute Schulangebote auch für internationale Klientel.

Nutzen die internationalen Unternehmen am Standort das Angebot der ISR so wie erwartet?

Werhahn Wir sind auf einem guten Weg, die ISR befindet sich nach wie vor im Aufbau. Mit dem neuen Gebäude und mit jeder weiteren Klassenstufe, die angeboten wird, rechnen wir mit kräftig steigenden Schülerzahlen.

Der Rhein-Kreis Neuss hat das RALGütezeichen für eine besonders mittelstandsfreundliche Verwaltung erworben. Was bringt eine solche Zertifizierung?

Werhahn Dass der Rhein-Kreis Neuss dieses Gütesiegel erworben hat, ist sehr positiv zu bewerten. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein, Dr. Dieter Porschen, war in den Prozess eingebunden und hat die Erwartungen und Wünsche der Unternehmer formuliert. Ich habe Landrat Dieter Patt in einem Brief zu dem Erfolg mit dem Gütezeichen gratuliert und ihn gebeten, Idee und Konzept im Kammerbezirk vorzustellen. Auch Krefeld, Mönchengladbach und der Kreis Viersen sollten sich mit dem RAL-Gütezeichen beschäftigen. Wenn die kommunalen Verwaltungen schnell und flexibel auf die Anforderungen der Wirtschaft reagieren, ist das für die ökonomische Entwicklung der gesamten Region von großer Bedeutung.

Noch einmal ein Themenwechsel: Die Europäische Union und das Land NRW stellen im so genannten Ziel-2- Programm viel Geld bereit, um mittelständische Betriebe im Strukturwandel zu fördern. Früher flossen solche Hilfen fast ausschließlich ins Ruhrgebiet. Die neue Landesregierung hat signalisiert, dass auch andere Regionen eine Chance haben sollen. Wird davon auch der Kammerbezirk Mittlerer Niederrhein profitieren können?

Werhahn Es gibt große und kleinere Themen, die es zu bearbeiten gilt. Zu den großen zählen zum Beispiel die Infrastrukturprojekte am Niederrhein. Dabei geht es allein in dieser Region um rund 2,5 Milliarden Euro. Das Ziel-2- Programm umfasst hingegen nur zwei Milliarden Euro, wovon die Hälfte ins Ruhrgebiet fließt und der Rest verteilt wird. Am Ende kommen für den IHK-Bezirk sechs bis sieben Millionen Euro pro Jahr heraus. Auch da sollten wir natürlich dabei sein, dafür lohnt es sich aber nicht, neue Organisationen zu schaffen. Das muss mit den vorhandenen Strukturen abgearbeitet werden.

Welche Ansätze im Kammerbezirk sind erfolgversprechend?

Werhahn Um überhaupt in die Förderung zu kommen, sind Ideen gefragt. Das bereits angestoßene Projekt Agro-Business könnte aussichtsreich sein. Dazu passt in Neuss das Konzept "Food City" ebenso wie das neue Biokraftwerk von RWE in Grevenbroich. Es wird allerdings nicht leicht werden, wirtschaftsnahe Einzelprojekte zu identifizieren. Außerdem entstehen enorme Planungskosten. Unsere Befürchtung ist, dass der Nettoeffekt gering ausfallen könnte und am Ende eher die großen als die kleineren Unternehmen profitieren werden. Eine Alternative wäre es, solche Förderprogramme der EU einfach abzuschaffen. So könnten rund 50 Milliarden Euro gespart werden. Es ist doch fatal, wenn von Brüssel aus so viel Geld mit der Gießkanne verteilt wird und sich der Effekt wegen viel Bürokratie und Planungskosten letztlich stark in Grenzen hält.

Das Gespräch mit Wilhelm Werhahn führten Ludger Baten und Frank Kirschstein.

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