Lokalsport Höffgen tauscht Ruderdress gegen Blaumann

Neuss · Neunzehn Jahre war Hiltrud Döhmen (damals Gürtler) jung, als sie mit dem deutschen Frauenachter im olympischen Endlauf von Montreal 1976 Platz fünf belegte. "Danach habe ich mit dem Rudern aufgehört, schließlich musste ich ja etwas Vernünftiges aus meinem Leben machen," sagt sie heute.

 Mit Brief und Siegel in die Zwillingskarriere: Westnetz-Geschäftsführer Stefan Küppers, Alexandra Höffgen und Jürgen Brüggemann, Geschäftsführer der Sportstiftung NRW, am ersten Arbeitstag der Neu-Praktikantin.

Mit Brief und Siegel in die Zwillingskarriere: Westnetz-Geschäftsführer Stefan Küppers, Alexandra Höffgen und Jürgen Brüggemann, Geschäftsführer der Sportstiftung NRW, am ersten Arbeitstag der Neu-Praktikantin.

Foto: A. Woitschützke

Das ist der promovierten Medizinerin als Leiterin des Kinderwunschzentrums Niederrhein und 2. Vorsitzenden des Neusser Rudervereins durchaus gelungen. Dennoch blickt sie ein wenig neidisch auf ihre knapp 37 Jahre jüngere Vereinskollegin Alexandra Höffgen: "Hätte ich damals diese Möglichkeiten gehabt, hätte ich nach Montreal vielleicht weitergemacht."

Denn Alexandra Höffgen (23) bastelt seit gestern an ihrer "Zwillingskarriere", die sie gleichzeitig zu den Olympischen Spielen in Tokio und in ein geregeltes Berufsleben bringen soll, das ihrer Qualifikation als Maschinenbau-Studentin entspricht. Ihre Partner auf dem Weg dorthin sind die Sportstiftung NRW und die Westnetz GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der innogy SE, die im Westen Deutschlands 185.000 Kilometer Stromnetz und 28.000 Kilometer Gasnetz betreibt und instandhält.

5100 Mitarbeiter beschäftigt Westnetz. Geht es nach Jürgen Brüggemann, wird Alexandra Höffgen spätestens nach Tokio 2020 eine davon. Denn darauf ist die "Zwillingskarriere" angelegt: "Wir wollen schon während einer Sportkarriere die Weichen für die Zeit danach stellen, damit Sportler nach Ende von Karriere und Studium nicht in ein Loch fallen", sagt der Geschäftsführer der Sportstiftung NRW über sein Lieblingsprojekt.

Mit Alexandra Höffgen und Westnetz hat er einen Vertrag abgeschlossen, der zunächst ein dreimonatiges Betriebspraktikum der EM-Fünften 2016 und Dritten der U23-WM 2014 regelt. Sie wird in dieser Zeit nicht nur in der Neusser Niederlassung an der Collingstraße sitzen, sie geht auch "on tour" zu den Verteilnetzen draußen (wofür sie am gestrigen ersten Arbeitstag ihre spezielle Sicherheitskleidung erhielt) und wird an andere Tochterunternehmen "ausgeliehen" - in drei Wochen geht's zu RWE Power in den Tagebau nach Grevenbroich.

Und das alles nicht bloß zum Reinschnuppern. "Sie soll auch richtig arbeiten, damit sie eine Vorstellung von diesem Beruf bekommt", sagt Stefan Küppers. Der Westnetz-Geschäftsführer vermeidet den Modebegriff der "win-win-Situation", sagt aber: "Wir profitieren auch davon." So kann er sich die Neusser Ruderin gut als "Vorarbeiterin" in Sachen betriebliches Gesundheitsmanagement vorstellen. Und als Vorbild für die Auszubildenden im Unternehmen: "Wir arbeiten leistungsorientiert, Alexandra Höffgen auch."

Da ist was Wahres dran. Zwar musste die 23-Jährige nach einem Bandscheibenvorfall die Saison abbrechen - "so gesehen ein Glücksfall, sonst hätte sie ein dreimonatiges Praktikum doch gar nicht machen können", sagt Jürgen Brüggemann - hat aber inzwischen ihre Trainings-Zwangspause beendet. "Ein bisschen" werde sie auch während ihres Betriebspraktikums trainieren, sagt Alexandra Höffgen, um auf Nachfrage zu präzisieren: "Na ja, so sieben, acht Mal in der Woche."

Noch Fragen zum Alltag eines Leistungssportlers? Jürgen Brüggemann ist dennoch vom Erfolg der "Zwillingskarriere" überzeugt, "weil das in Deutschland der einzig gangbare Weg der Spitzensportförderung ist." Von der auf Umwegen auch der Breitensport profitiert. Der Neusser Ruderverein und Westnetz basteln nämlich gerade an einer Zusammenarbeit in Sachen betriebliche Gesundheitsvorsorge. Praktisch: Von der Collingstraße zum neuen Leistungszentrum des NRV an der Industriestraße sind es über die neuen Hafenbrücke gerade mal 500 Meter. Trotzdem sagt Hiltrud Döhmen: "Ohne die Sache mit Alexandra wäre der Kontakt wohl nie zustande gekommen."

(NGZ)
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