Ratingen Das Geheimnis der Werkstatt-Glocke

Ratingen · An jedem Samstag läutet in Ost eine Glocke, die zu keiner Kirche gehört. Ihre Herkunft ist unbekannt. Trotzdem wird sie gepflegt.

 Daniel Hochscheid mit seinem Glockenturm auf der Schreinerei. Woher die Glocke stammt, die einst gefunden wurde, kann niemand sagen.

Daniel Hochscheid mit seinem Glockenturm auf der Schreinerei. Woher die Glocke stammt, die einst gefunden wurde, kann niemand sagen.

Foto: achim blazy

Es ist kaum zu glauben, aber die Beteiligten bestehen auf einer überaus geheimnisvollen Geschichte: Danach soll in den 50ern, 60ern, 70ern irgendwo in einem Garten an der Festerstraße eine Glocke gestanden oder gelegen haben, über deren Herkunft niemand etwas wusste. Sie war einfach da und mit ihrem gut 50 Zentimeter großen Durchmesser auf einmal im Weg. Wie Glocken üblicherweise so störend in Gärten rumstehen.

In einer ganz besonderen Form von Nachbarschaftshilfe nahm sich dann Carl Caspari, Treppen- und Modellbaumeister, des Fundstücks an und baute ihm 1977 auf dem Dach seiner Werkstatt im idyllischen Garten hinter dem Haus Nr. 38 einen Turm und damit ein Zuhause.

Caspari, von Berufs wegen Tüftler, stellte aufs Werkstattdach vier mit Zink verkleidete Pfosten und darauf ein mit Schindeln verkleidetes Dach. Darunter verbirgt sich die Aufhängung der Glocke, der unbekannten Schönheit. Nun sollte sie nicht nur einfach hübsch unter dem Dach mit der Wetterfahne in Form eines Hobels im Garten rumhängen, sondern auch Töne von sich geben. Also beschloss Carl Caspari, dass sie an jedem Samstag um 12 Uhr, außerdem zu besonderen Anlässen – wie Neujahr – zu frohen Begebenheiten und auch traurigen ertönen soll. Das geschieht seitdem so zuverlässig wie möglich.

Denn auch Möbelschreiner Daniel Hochscheid, der als Dritter nach dem Firmengründer Caspari und seinem Nachfolger Heinz-Peter Redmann die Schreinerei führt, kümmert sich um das Glocken-Findelkind. Er konnte gerade sogar seine meisterlichen Fertigkeiten einsetzen, denn das Dach über der Glocke zeigte nach mehr als 30 Jahren Schwachstellen. Es wurde jedoch in altem Stil wieder hergerichtet: Mit offenporigen Zedern-Schindeln, die sich dreifach übereinander fügen und so für gewiss lange Zeit wieder Schutz und Schirm über die Glocke legen.

Genau so, wie unter ihrem Turm noch reichlich Hand angelegt wird bei meisterlichen Holzarbeiten, so gerät "das selbsttönende Musikinstrument mit charakteristischer Hauben- oder Kelchform – die nach unten offene Halbkugel, die sich zunächst konkav und dann konvex gewölbt nach unten erweitert" (Wikipedia) auch nur mit Handantrieb in Schwingung.

Es hämmert und sägt, schleift und hobelt die Hochscheidsche Truppe im Hinterhaus, macht nur manchmal Krach, wenn Lackdämpfe abgesaugt werden, residiert aber ansonsten ruhig zwischen Birken, Nadelholz, Weidenstümpfen und gepflegtem Grün und bringt samstags Metall unbekannter Herkunft zum Schwingen und Klingen.

(RP)
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