Ratingen Schülertheater setzt hohe Maßstäbe

Ratingen · Das Ensemble des Immanuel-Kant-Gymnasiums zeigt heute und morgen "Graf Öderland" von Max Frisch.

Ein halbes Jahr geprobt hat der Literaturkurs der Jahrgangsstufe Q 1. Das Regie-Duo Yvonne Fernbacher und Dr. Markus Pfeifer wirkte gestern bei der Generalprobe ein wenig nervös. Beiden war wohl klar, dass die Erwartungshaltung der Besucher groß sein würde. Bisher waren die jährlichen Aufführungen immer hochkarätige Leistungen jugendlicher Schauspielkunst und zählten zu den Highlights des Schuljahrs.

Das groteske Drama "Graf Öderland" des Schweizers Max Frisch ist keine leichte Kost für Nachwuchs-Darsteller. Es spielt auf zwei zeitlichen Ebenen ohne räumlichen Bezug, verbindet Realität mit Fiktion und schildert individuelles Aufbegehren gegen ein konventionelles Leben unter gesellschaftlichen Zwängen. Ein schwieriges Terrain – aber von Hektik war während der Generalprobe nichts zu spüren. So wurde das zweistündige Agieren zwischen Märchen und Zivilisationskritik schon im Vorfeld zum komödiantischen Bravourstück zwischen Expressionismus und absurdem Theater. Da gab es kein Stocken, kein Versprechen, keine Aussetzer, sondern in zwölf Bildern Spannung pur, überzeugend exzentrisch wie angekündigt, "schaurig, mysteriös und kritisch".

Die Handlung: Ein Mordprozess wirft einen Staatsanwalt völlig aus der Bahn. Die Frage nach dem Warum raubt ihm den Schlaf. Warum hat ein sanfter, redlicher Bankangestellter einen Hausmeister erschlagen? Warum gibt es für diese Tat kein Motiv? Sollte Langeweile, Überdruss an einem Leben, das in erster Linie aus Pflichterfüllung besteht, das Motiv sein? Nach vielem Wenn und Aber kommt der Jurist zu dem Schluss, dass letztlich sein eigenes Leben fade ist und greift selbst zur Axt. Traumwandlerisch, wie der sagenumwobene Graf Öderland zieht er durch das Land, vernichtet alles, was ihm im Wege steht. Der Solotrip wird zum Aufstand, der Anwalt zur Ikone. Er ist Revolutionär und Ankläger zugleich.

Vor einem sparsamen, aber passenden Bühnenbild agieren die Protagonisten in eleganten Kleidern. Wandlungsfähig verkörpert Jochen Konieczny den Staatsanwalt, brutal und anklagend den Graf Öderland. Herausragend Meik Lacke, der, sensibel in jeder Geste und Mimik, in Körperhaltung und den Gebärden einen Mörder spielt, der sein Handeln absolut nicht verstehen kann, dessen Tat keineswegs in seine Charakterstruktur passt.

Jede kleinste Rolle war passend besetzt und trug im besten Komödiantentum zur ausgereiften herrlichen Spielschau bei. Fantastisch die Massenszenen: Alkoholisierte Köhler mit exzentrischer Gestik umringen Graf Öderland, fliehen letztlich vor ihm. Während zwei vermummte Geister stumm vor dem Vorhang stehen, deklamieren Hexen von der Empore Goethes "Zauberlehrling". Grandios der Schluss: Mit vorgehaltener Pistole muss der Staatsanwalt sich entscheiden – für Machtübernahme oder Tod, während alle 14 Darsteller nacheinander vortreten und ihre Anklagen gegen die Gesellschaft schreien. Eine kunstvolle gelungene Moritat, mit tollen Leistungen jedes Einzelnen – ob solo oder im Ensemble.

(ror)
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