Spielzeitauftakt im RLT Fausts kurzer Weg in die Hölle

Neuss · Goethes „Faust“ in 100 Minuten: Tom Gerber reduziert das Stück im RLT auf das Wesentliche.

 Ulrich Rechenbach, Anna Lisa Grebe, Tom Gerber und Niklas Maienschein (v.l) zeigen Goethes „Faust“ in 100 Minuten.

Ulrich Rechenbach, Anna Lisa Grebe, Tom Gerber und Niklas Maienschein (v.l) zeigen Goethes „Faust“ in 100 Minuten.

Foto: MARCO PIECUCH

Jetzt der „Faust“, nächstes Jahr „Nathan“, 2021/22 vielleicht „Der Sandmann“ – was Regisseur und Schauspieler Tom Gerber für die nächsten Spielzeiten in der neuen RLT-Reihe „WhiteBoxX“ ankündigt, sind Schwergewichte der deutschen Theaterliteratur. Reduziert auf den Text sollen sie sein, ein Publikum erschließen, das nicht gleich abwinkt, wenn es den Stücktitel hört, seine Aufmerksamkeitsspanne nicht überdehnen und auf jede Art von Requisiten, die nicht zum Spiel gehören, verzichten. Gespielt wird ausschließlich in Kostümen, die zur Zeit des Stücks gehören, und in einem weißen „Bretterverschlag“, der die Studiobühne komplett einnimmt. Neudeutsch in einer „White Box“ eben.

Das ist alles. Und doch so viel. Denn wer Goethes „Faust“ in erster Linie als Zitatesammlung („Da steh ich nun, ich armer Tor!“... oder „Verweile doch...“) kennt, lernt ihn ihn nun durch die Inszenierung von Tom Gerber als Stoff von ewiger Bedeutung kennen. Dass auch ein Gelehrter ein Mensch ist, macht Gerber sofort klar: Der Vorhang öffnet sich und zeigt Faust auf einem Bottich sitzend, sein großes Geschäft verrichtend, während er sinniert: „Hab ich, ach!...“

Des „Faust“ erster Teil allein braucht als Theaterstück ungekürzt acht Stunden – was bisher nur Peter Stein 2000 geschafft hat, aber von Gerber auch nicht im Entferntesten intendiert ist. So kürzt er auch mutig den Text um Szenen, die zwar Fausts Entwicklung illustrieren, aber für das Verständnis, warum ein Mensch seine Seele an den Teufel verkauft, um sich als Mensch zu fühlen, überflüssig sind. Was sich in Auerbachs Keller ereignet hat oder in der Hexenküche, erfährt der Zuschauer aus dem Mund eines Erzählers. Eines Dichters, genau gesagt. Der gerät schon vor dem Vorhang in Rage, diskutiert mit dem Theaterdirektor und einer „lustigen Person“ über Sinn und Zweck des Theaters, denn Gerber hat das meistens gestrichene „Vorspiel“ des Stücks ebenso eingebaut wie den „Prolog im Himmel“, die Wette des Teufels in Gestalt des Mephisto und Gott um die Verführbarkeit des „guten“ (Gott) Menschen Faust.

Beides passt zu dieser Inszenierung, die dank Gerber (Faust, Mephisto), Ulrich Rechenbach (Dichter, Wagner, Frau Marthe, Valentin, Hexe), Niklas Maienschein (Die lustige Person, Mephisto, Faust) und Anna Lisa Grebe (Gretchen) von der ersten bis zur letzten (100.) Minute fesselt. Gerber ist als Faust ein alter, schrulliger Gelehrter. Als Mephisto macht es ihm Spaß, den Menschen auf die schiefe Bahn zu führen. Dass er ebenso wie Maienschein beide Rollen spielt, hat Bedeutung: Kein Mensch ist nur gut.

Grebe kann ihr Gretchen in diesem dominanten Spiel der Männer zwar behaupten, aber ihre Entwicklung vom hessisch babbelnden naiven Mädchen zur unrettbar Wahnsinnigen im Kerker bleibt in der Kürze der Zeit doch auf der Strecke. Rechenbach hingegen holt aus seinen Rollen eine Präsenz heraus, die der Gerbers nicht nachsteht.

Ein spannender Theaterabend, der neugierig auf weitere dieser Art macht.

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