Rotger Kindermann Bürger als Nachrichtenquelle entdecken

Neuss · Rotger Kindermann spricht morgen beim CDU-Neujahrsempfang zum Thema "Keine Demokratie ohne freie Presse".

 Rotger Kindermann ist Ehrenpräsident der Vereinigung Europäischer Journalisten

Rotger Kindermann ist Ehrenpräsident der Vereinigung Europäischer Journalisten

Foto: Linda Hammer

Die Zeiten für Journalisten sind hart: In vielen Ländern der Welt existiert gar keine Pressefreiheit und dort, wo sie gesetzlich verankert ist, sehen sich Journalisten zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, sie würden Fake News produzieren. Müssen wir uns Sorgen um die Pressefreiheit machen?

Rotger Kindermann In der Tat. Nur 13 EU-Länder von den 28 hatten 2017 die höchste Bewertung bezüglich der Pressefreiheit. Das ist nicht einmal die Hälfte. Ich beziehe mich dabei auf das Ranking von "Reporter ohne Grenzen". Zum Vergleich: 2013 waren es noch 16 Länder mit dieser Bewertung.

Wie sieht es konkret denn in Europa aus?

Kindermann: Die Top-Bewertungen beziehen sich im Wesentlichen auf Nord- und Westeuropa - darunter auch Deutschland. In Osteuropa haben wir dagegen eine starke Gefährdung der Pressefreiheit. Dazu zählen Länder wie Polen, Ungarn, aber auch Tschechien. Und ganz katastrophal sieht es in Bulgarien aus, dem Land, das jetzt den EU-Ratsvorsitz innehat.

Können wir uns in Deutschland zurücklehnen, weil die Pressefreiheit bei uns auch im Grundgesetz verankert ist?

Kindermann: Zurücklehnen sicherlich nicht. Auch hier gibt es immer mal wieder Versuche, Journalisten bei ihrer Recherche zu behindern. Aber im europäischen Vergleich ist es um die Pressefreiheit in Deutschland immer noch gut bestellt. Dennoch muss man wachsam sein.

Journalisten wird zunehmend misstraut. Frauke Petry betitelte sie als "Pinocchio-Presse". Der US-Präsident hat kürzlich Fake News Awards vergeben. Wird es schwieriger für Journalisten in einem Umfeld des Misstrauens?

Kindermann: Auf jeden Fall. Ihre Arbeit steht heute mehr unter kritischer Beobachtung, auch wegen der sogenannten, oft fragwürdigen Alternativen im Netz. Und sie geraten unter Manipulationsverdacht, wenn sie die Skandalisierung übertreiben - wie vor Jahren bei der medialen Hinrichtung eines Bundespräsidenten. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, wann die Wirklichkeit verzerrt wird, oder sie einem Meinungs-Mainstream ausgesetzt sind. Nichtsdestotrotz sind Titulierungen wie "Lügenpresse" völlig undifferenziert und dienen als Hetzworte, um die Glaubwürdigkeit zu untergraben.

Sehen Sie in diesem Misstrauen eine Bedrohung für unsere Demokratie?

Kindermann: Dies ist nur die eine Seite des Problems. Noch gefährlicher ist die Zusammenballung von Medienmacht, politischer und wirtschaftlicher Macht. Was unter dem Schlagwort "Berlusconisierung" bekannt ist, gefährdet Demokratien. In Frankreich zum Beispiel gibt es Multi-Unternehmer, die Waffen produzieren und nebenbei noch Zeitungen sowie Zeitschriften herausgeben. Oder in Tschechien, wo der Milliardär Andrej Babi zwar am Mittwoch formell zurückgetreten, aber noch Ministerpräsident ist. Ihm gehören etwa 250 Unternehmen in 18 Ländern und zugleich zwei wichtige Tageszeitungen sowie ein Radiosender. Derartige Machtkonzentrationen stellen die größte Gefahr für die Demokratie in Europa dar.

Welche Bedrohung geht von dem zunehmenden Lobbyismus aus?

Kindermann: Der Einfluss auf die Parlamente durch Lobbyisten ist ebenfalls eine große Gefahr. Deshalb sollten Journalisten auch stärker den Bürger als Original-Nachrichtenquelle entdecken. So wie es in vielen Lokalteilen mancher Zeitungen bereits geschieht.

Also eine Chance für den schon häufiger totgesagten Lokaljournalismus?

Kindermann: Auf jeden Fall. Es gibt in den Niederlanden ein paar vielversprechende Versuche von Zeitungen, den Lokalteil auszuweiten und die nationale sowie weltweite Berichterstattung mehr den TV- und Onlinemedien zu überlassen. Medien sind ein Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen und die direktere Berichterstattung ist auch eine Möglichkeit, die Pressefreiheit zu stärken.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE BÄRBEL BROER.

(NGZ)
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