Johann-Andreas Werhahn "Man findet kaum Unternehmer im Rat"

Neuss · Zum ersten Talk auf dem blauen NGZ-Sofa im neuen Jahr begrüßte NGZ-Chefreporter Ludger Baten in den Räumen der Bürgergesellschaft deren Präsidenten Johann-Andreas Werhahn. Mit ihm sprach er über den Bürgersinn und das Ehrenamt.

 Johann-Andreas Werhahn ist einer, der sich einmischt: "Ich behaupte, ehrenamtliches Engagement ist eine Frage der Prioritäten im eigenen Leben."

Johann-Andreas Werhahn ist einer, der sich einmischt: "Ich behaupte, ehrenamtliches Engagement ist eine Frage der Prioritäten im eigenen Leben."

Foto: Woi

Derzeit erleben wir viele Brüche und Umbrüche im gesellschaftlichen Leben. Da sehen viele Menschen im Bürgersinn eine Konstante. Was verstehen Sie unter Bürgersinn?

Johann-Andreas Werhahn Dass man was tut! Und nicht nur etwas fordert, was dann andere erledigen oder bezahlen sollen. Ob man sich ehrenamtlich im Sportverein oder der Politik engagiert, ist egal. Aber jeder kann sich nach seinen persönlichen Fähigkeiten einbringen und etwas beitragen. Bürgersinn bedeutet Geben und Nehmen. Es gibt Bürgerrechte, aber eben auch Bürgerpflichten.

Ist das Neusser Schützenfest ein Ausdruck von Bürgersinn?

Werhahn Ich wäre kein Neusser, wenn es das Schützenfest nicht gäbe. Über all die Jahre, in denen ich nicht in Neuss gelebt habe, war das Schützenfest Anker und roter Faden.

Sie üben mehrere Ehrenämter aus: Präsident der Bürgergesellschaft, Abgeordneter im Kreistag, Vize-Vorsitzender des Trägervereins Norbert-Gymnasium Knechtsteden - was treibt Sie im Ehrenamt an?

Werhahn Ich sitze nicht gern lange im Sessel. Man muss ja irgendwo hin mit dem, was in einem ist. Meine Frau würde mich beschreiben: Vollgas oder gar nicht. Für mich ist das normal.

Verfolgen Sie dabei ein festes Ziel? Haben Sie eine Botschaft?

Werhahn Ich würde eher von einem Wertekonzept sprechen. Was ich tue, soll gut sein, nützen und ehrlich sein. Ich möchte etwas Positives in die Gesellschaft einbringen.

Sie sind Mitbegründer von Kompass D, einer Initiative von Neusser Unternehmern für junge Zuwanderer: Wie viele junge Menschen haben Sie in den Arbeitsmarkt integriert?

Werhahn Von etwa 300 Schülern aus Integrationsklassen haben sich 65 für die Fördermaßnahme gemeldet, 34 sind dabei geblieben, und 24 von ihnen konnten wir mit Unterstützung von Unternehmen wie RheinLand Versicherung, UPS, Thywissen, Ölmühle Sels, Zülow, St. Augustinus-Kliniken, Volksbank, Sparkasse und Werhahn KG, Stadt Neuss - Bürgermeister Reiner Breuer und Kulturdezernentin Dr. Christiane Zangs - sowie dem Rhein-Kreis Neuss - Landrat Hans-Jürgen Petrauschke und Kreisdirektor Dirk Brügge - schließlich in eine Ausbildung beziehungsweise in einen Arbeitsplatz vermitteln.

Das klingt nicht so zufrieden...

Werhahn Ich würde lieber verkünden, dass es 1000 oder 2000 sind. Aber Kompass D ist immerhin das größte Unternehmerprojekt in Neuss seit Ende des Zweiten Weltkriegs, mit Geldgebern und auch ehrenamtlich Tätigen und Menschen, die "ermöglichen"... Hier in Neuss hat man früher als anderswo in der Bundesrepublik erkannt, dass Integration von Geflüchteten oder ein selbstbestimmtes Leben nur gelingt, indem man sie in die Erwerbstätigkeit führt. In der Thematik Neu-Neusser sind ganz dicke Bretter zu bohren. Auf Seiten der Bevölkerung, Stadt und Kreis, der Unternehmen und auch der Geflüchteten selbst.

Sie sind zwar 1971 als 16-Jähriger in die CDU eingetreten, aber erst 2014 aktiv geworden. Warum tut man sich das mit damals 58 Jahren an?

Werhahn Sich etwas "antun" ist nicht mein Ansatz. Alles, was ich tue, muss mir irgendwie Freude machen. Ich finde die politische Arbeit spannend und lerne viel dabei. Und es ist großartig, mit Männern und Frauen zusammen zu arbeiten, die etwas bewegen wollen und bewegen können.

Ist Ihr Respekt vor Politikern seither gewachsen oder sind sie ernüchtert?

Werhahn Beides. Bei manchen fragt man sich schon, warum sie sich haben wählen lassen. Andere wiederum bringen wirklich etwas voran.

Können Sie den Wechsel vom zahlenden Parteimitglied zum operativen Politiker empfehlen?

Werhahn Wer etwas in seinem Sinne bewegen möchte, muss sich engagieren, sonst darf er sich nicht wundern, wenn der Zug über ihn drüber fährt. Einige Bevölkerungsgruppen verweigern sich aber regelrecht, so findet man beispielsweise im Stadtrat kaum Unternehmer oder Top-Manager.

Derzeit erleben die politischen Parteien größeren Zulauf. Sehen Sie da eine Trendwende?

Werhahn Ob das eine Trendwende ist, weiß ich nicht. Aber auch in Neuss brauchen wir mehr Menschen, die bereit sind, den Vorsitz eines Vereins zu übernehmen - mit Herzblut, Fähigkeit, Menschlichkeit und Respekt. Die Hausdurchsuchung beim ehemaligen Schützenpräsidenten Thomas Nickel war in meinen Augen ein Anschlag auf das deutsche Vereinswesen - und das wegen einer bereits offenliegenden Nichtigkeit. So etwas schreckt ab. Natürlich muss es in den Vereinen professionell und rechtskonform zugehen, aber es muss auch die nötige Unterstützung oder private Sicherheit geben.

Durch die "Verdichtung" des Arbeitslebens kann heute kaum jemand während der Arbeitszeit eben einen Brief für den Förderverein schreiben oder Vereinsunterlagen kopieren...

Werhahn Ich behaupte, ehrenamtliches Engagement ist eine Frage der Prioritäten im eigenen Leben. Tätigkeiten im Erwerbsleben sind immer mit dem Chef oder der Chefin abzustimmen. Man könnte es ja mal versuchen.

Jetzt haben Sie natürlich Zeit, Geld und einen bekannten Namen. Ist es da leichter, Bürgersinn zu leben?

Werhahn Ich könnte mich auch aufs Sofa setzen und Pralinen essen. Jeder von uns hat die Wahl, dies ist ein freies Land. Nur einfach reden und fordern ist leicht. Und in Neuss einen Termin zu bekommen, geht immer; aber dann muss man leisten und liefern, wie jeder andere auch.

SUSANNE NIEMÖHLMANN FASSTE DAS GESPRÄCH ZUSAMMEN.

(NGZ)
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