Moers Das Gedächtnis der NS-Zeit in Moers

Moers · Die von Bernhard Schmidt geleitete Dokumentationsstelle arbeitet seit zehn Jahren die braune Vergangenheit auf.

 Bernhard Schmidt mit Stadtarchivarin Daniela Gillner (links) und Diana Finkele.

Bernhard Schmidt mit Stadtarchivarin Daniela Gillner (links) und Diana Finkele.

Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Nein, es waren nicht nur einige wenige, die in Moers begeistert „Heil Hitler“ riefen. Man sehe sich die Fotos vom Kreisappell der NSDAP 1936 an, als die Reichswehr auf der Steinstraße aufmarschierte und die Massen jubelten. Die Fotos gehören zu den vielen Schätzen der NS-Dokumentationsstelle der Stadt. Vor zehn Jahren wurde sie gegründet, den Grundstock bildete eine Sammlung von Bernhard Schmidt. Heute füllen die Ordner mit Urkunden, Bildern, Zeitungsausschnitten 30 Meter Regale. Die Dokumente stammen von Zeitzeugen, aus eigenen Recherchen, aus anderen Archiven. „Sie reichen von kompletten Akten aus Widerstandsfamilien bis hin zum Kleiderbügel eines früheren jüdischen Bekleidungshauses oder der Fahne eines Schützenvereins, in die nachträglich ein großes Hakenkreuz eingenäht wurde“, teilte die Stadt aus Anlass des zehnten Geburtstags der Dokumentationsstelle mit. Schmidt präsentierte vor der Presse unter anderem ein Fotoalbum von Wilhelmine und Hermann Runge. Der Sozialdemokrat aus Meerbeck hatte in den 30er Jahren eine Widerstandsgruppe formiert, die Nazis schickten ihn dafür für neun Jahre ins Zuchthaus.

Die Dokumentationstelle ist Teil des Stadtarchivs. „Sie leistet ehrenamtlich eine unschätzbare Arbeit“, sagte Stadtarchivarin Daniela Gillner. Das Lob galt vornehmlich Schmidt, mit dem die Dokumentationsstelle nach wie vor „untrennbar verbunden“ sei. Schmidt selbst betonte: „Ich bin nicht allein.“ Das Rückgrat der Arbeit bildet der Verein „Erinnern für die Zukunft“ mit 140 Mitgliedern und mehreren Arbeitskreisen. Einer bereitet derzeit die Dauerausstellung zur Moerser Geschichte im 20. Jahrhundert vor, die 2019 im sanierten Alten Landratsamt eröffnen wird. „Die Ausstellung lebt davon, dass Dinge aufgrund der Unterlagen aufgearbeitet werden“, sagte Diana Finkele, Leiterin des Bereichs Bildung bei der Stadt. Die bisher provisorisch untergebrachten Dokumente aus der NS-Zeit sollen für die Forschung besser zugänglich werden. Schon jetzt wird ein Teil der Unterlagen mithilfe eines Archivprogramms digital erfasst, um sie online verfügbar zu machen.

 Kreisappell der NSDAP im Juni 1936. Die Reichswehr marschiert auf der Steinstraße.

Kreisappell der NSDAP im Juni 1936. Die Reichswehr marschiert auf der Steinstraße.

Foto: NS-Dokumentationsstelle/NS-Dokumentationsstelle Moers

Schmidt und seine Mitstreiter haben Schicksale von Juden, Zwangsarbeitern, Zeugen Jehovas im Dritten Reich aufgearbeitet. Sie haben Ausstellungen konzipiert, Jugendprojekte angeregt, Demonstrationen und Aktionen angestoßen und begleitet. Zu tun gebe es noch viel, betonte Schmidt. „Es sage niemand: Wir wissen schon alles, hört auf damit.“ Über Sinti und Roma, Schwule und Lesben im Moers der NS-Zeit wisse man nichts. Auch das Thema „Euthanasie“ werde erst seit kurzer Zeit systematisch beackert. Im Frühjahr wurden in Moers bereits einige Stolpersteine zum Gedenken an Menschen verlegt, die ermordet wurden, weil sie krank waren. Die Forschungen bringen immer mehr Namen von Euthanasie-Opfern zutage, berichtete Schmidt. Er kündigte ein Buch über „Krankenmorde am Niederrhein“ an. Ein Arbeitskreis bereite die Veröffentlichung vor.

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