Kolumne Mensch Gladbach Die Evolution des Großstadtverkehrs

Mönchengladbach · Im Citydschungel hat sich in dieser Woche eine neue Art namens „Tier“ niedergelassen, kurz bevor ein Artverwandter namens „NEW“ nachzieht. Können sie andere Fortbewegungsarten verdrängen?

 Der E-Scooter ist in Gladbach angekommen.

Der E-Scooter ist in Gladbach angekommen.

Foto: Bauch, Jana (jaba)

Als Mönchengladbacher kann man sich dieser Tage ein Beispiel an Biologen nehmen, die sich mit der Evolution beschäftigen. Denn in dieser Woche ist eine für diese Stadt völlig neue Art mitten unter uns aufgetaucht: der E-Scooter. In einem größeren Rudel sind sie am Mittwoch in die Stadt eingefallen. Sie bewegen sich auf zwei Rädern fort, aber nicht ohne den Befehl dazu zu bekommen. Sonst bleiben sie an ihrem Platz stehen. An ihrem überaus langen Hals in mintgrüner Farbe ist das Wort „Tier“ zu lesen, was eine besonders hilfreiche Gedankenstütze für den Reiter, oder besser für den Fahrer ist. Ohne diesen von der Natur freundlicherweise platzierten Hinweis wäre man nicht auf die Idee gekommen, es könne sich um ein Lebewesen handeln. Aber gut, das müssen wir dann so hinnehmen.

Die Neuankömmlinge sind ausschließlich in ihrem eng bemessenen Habitat in den Innenstädten Gladbach und Rheydt zu finden, in deren Grenzen bewegen sie sich mit beachtlicher Geschwindigkeit (20 Kilometer pro Stunde!), wenn sie mit ausreichend Währung gefüttert werden. Leider sind sie durchaus hungrig. Wer eines dieser Tiere zum Ausflug überreden möchte, muss ihm via Smartphone erstmal einen Euro in den Rachen schmeißen. Und wer eine Stunde mit dem Tier durch die Gegend sausen will, kommt so auf zehn Euro. In der Praxis erweisen sie sich dann aber als praktische Helfer für fortbewegungsmüde Großstädter, so lange es nicht regnet.

Wie das beim Entstehen neuer Arten so ist, gibt es aber schon bald eine Auffächerung in mehrere spezialisierte Gattungen, Biologen sagen dazu adaptive Radiation. Will heißen: Ab dem 30. Oktober hat sich eine neue, aber eng verwandte Art angekündigt, die nicht mintgrün, sondern brombeerfarben ist, nicht auf den Namen Tier, sondern NEW hört, nicht zwei, sondern drei Räder hat und im Fachjargon nicht E-Scooter, sondern E-Floater genannt wird. Es ist noch ungewiss, inwieweit die beiden Spezies untereinander Fressfeinde sein werden. Letztlich entscheidet das der Mensch.

Zusammen aber wird den beiden Verwandten die Fähigkeit nachgesagt, sich in der großstätischen Verkehrsevolution ihren Platz zu sichern und dabei anderen, wesentlich länger bekannten Arten der Fortbewegung den Raum abspenstig zu machen. Man spricht davon, dass die Art „Auto“ in naher Zukunft evolutionsbiologisch von den kleinen possierlichen Neu-Arten bedroht sei. Darauf hoffen alle, die sich davon etwas mehr Licht und Luft im Großstadtdschungel versprechen. Sicher wird es keinen Halter eines solchen Autos in den Stadtteilen außerhalb der E-Scooter-Habitate interessieren, was für Roller fernab ihrer eigenen Dörfer fahren. Und gleichzeitig befürchten viele, dass nicht die Art „Auto“ darunter leiden wird, sondern die von Fachkundigen als besonders nützlich angesehene Art der Linienbusse. Sie muss sich anpassen, sich deutlich vermehren, zu mehr und besseren Zeiten fahren und für den Menschen eben einen noch größeren Nutzen bringt als die E-Scooter und die Autos. Wenn nicht, dann muss der Mensch da eingreifen, wo es nötig ist. So ist das eben in der Evolution, auch im Verkehr.

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