„Vertellbud“ der Sozial-Holding Endlich Oma Gerda wiedersehen

Mönchengladbach · Viele Wochen konnte Marie ihre im Seniorenheim lebende Großmutter nur in Videotelefonaten sehen. Jetzt können sich die 26-Jährige und die 97-Jährige wieder treffen – nur durch Acrylglas getrennt. Möglich macht das ein vorbildliches Projekt der städtischen Sozial-Holding.

 Marie (26) und ihre Oma Gerda (97) können sich im Besuchscontainer sehen und miteinander sprechen. Eine Acrylglasscheibe schützt die Seniorin vor Ansteckung. Die Enkelin trägt einen Mundschutz, weil der Fotograf mit in der „Vertellbud“ war.

Marie (26) und ihre Oma Gerda (97) können sich im Besuchscontainer sehen und miteinander sprechen. Eine Acrylglasscheibe schützt die Seniorin vor Ansteckung. Die Enkelin trägt einen Mundschutz, weil der Fotograf mit in der „Vertellbud“ war.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Marie kennt ihre Großmutter Gerda als aktive Frau. Darum treibt die Enkelin seit Beginn des wegen der Pandemie verordneten Besuchsverbots in Altenheimen die Frage, wie die 97-Jährige die Einschränkungen wirklich verkraftet. Um sich ein Bild der Gefühlslage zu machen, ist der 26-jährigen Marie lieber,  sie persönlich zu sehen statt nur zu telefonieren. Möglich macht das trotz der nach wie vor geltenden Kontaktsperre die „Vertellbud“. Sieben solcher Besuchscontainer hat die städtische Sozial-Holding vor ihren Altenheimen aufgestellt. Dort können sich die beiden Frauen endlich nah sein.

Eine Acrylglasscheibe zwischen ihnen garantiert Schutz vor einer Infektion. Vor jeder Begegnung zwischen Seniorenheimbewohnern und Angehörigen wird der komplette Raum desinfiziert. In der aktuellen Situation sei das Angebot eine gute Lösung, sagt Marie. Sie gesteht allerdings, etwas neidisch auf die Pflegerin zu sein. Denn die dürfe ihre Oma Gerda tatsächlich in den Arm nehmen, während Marie zum Schutz ihrer hochbetagten Großmutter auf körperlichen Kontakt verzichten muss.

Die Sozial-Holding hat in einer Vorreiterrolle die Besuchscontainer über einen niederländischen Hersteller für die städtischen Altenheime bestellt. Geschäftsführer Helmut Wallrafen freut sich über die gute Resonanz. Gleich in der ersten Woche waren die Container schon zu 90 Prozent ausgebucht. „Dort spielen sich hochemotionale Momente ab. Für die Besucher bedeutet das Teilhabe, ein Stück Normalität. Für uns ist es wichtig, Kommunikation zu schaffen“, betont Wallrafen. Er weiß, dass manche Bewohner den Raum auch wünschen, um rechtliche Fragen zu klären, um vielleicht eine Bankvollmacht zu erteilen.

Wallrafen hat Respekt vor der durch das neuartige Coronavirus ausgelösten Krankheit. In Verantwortung für die Senioren haben er und seine Frau sich eine freiwillige Isolation auferlegt. Von Anfang an habe die Sozial-Holding Wert auf Einhaltung aller Sicherheitsstandards gelegt. Eine Zwangskontrolle der eigenen Gesundheit zum Schutz anderer ist ein Muss.

Darüber soll aber das Bedürfnis nach sozialen Kontakten nicht vergessen werden. „Wir wollen außer auf den Schutz auch darauf achten, dass keine soziale Einsamkeit entsteht, wenn man seine Liebsten nicht sehen kann“, sagt Wallrafen. Deshalb seien gleich zu Beginn der Kontaktsperren Tablets verteilt worden, über die Bewohner mit Angehörigen Videotelefonate führen konnten. Dank der sieben Besuchscontainer mit dem rheinisch gemütlichen Namen „Vertellbud“ sind monatlich insgesamt 686 Besuche möglich, rechnet Wallrafen vor. Angehörige und Bewohner kommen über getrennte Eingänge hinein. Im Schutz der Plexiglasscheibe benötigen sie drinnen keine Maske.

In Erwartung ihres Besuchs ist Oma Gerda auf dem Weg zum Container bestens gelaunt. „Vorige Woche haben wir uns auch schon hinter Gittern getroffen“, sagt die 97-Jährige scherzend. Von ihren beiden Kindern starb die Tochter vor zwei Jahren. Jeder der vier Enkel lebt in einer anderen Stadt. Mit Wohnsitz in Düsseldorf wohnt Marie ihr am nächsten. Ihre Enkel seien stark beschäftigt, betont die seit 26 Jahren verwitwete Seniorin sichtlich stolz. Sie erkennt sich in der jüngeren Generation wieder, da auch sie selbst Zeit ihres Lebens einsatzfreudig gewesen sei. „Ich habe alles selbst genäht und gestrickt, und wir hatten immer einen Garten.“

Vor einem Jahr zog sie aus dem Eigenheim ins Seniorenhaus. Enkelin Marie ist gerade jetzt darüber froh. „Zuhause wäre sie jetzt einsamer“, sagt die angehende Ärztin angesichts verordneter Kontaktsperren. Beim gemeinsamen Gespräch wollte die Großmutter möglichst alles über die Schwangerschaft von Maries Schwester erfahren. „Sie hat auch erzählt, wie die Geburt der eigenen Kinder verlaufen ist“, berichtet die Enkelin nach dem zwanzigminütigen Treffen.

Nach der Begegnung mit Blickkontakt hat Marie keine Sorge mehr, dass ihre Oma in der jetzigen Situation einsam sein könnte. Schließlich ist die 97-Jährige offen und auch neuen Techniken gegenüber aufgeschlossen. Sie war die erste, die über Skype telefonierte. Inzwischen kommunizieren 150 der insgesamt 620 Bewohner auf diese Weise. Die Container sind fürs Erste für drei Monate gemietet. Nun wird geprüft, wie danach auch in den Gebäuden soziale Kontakte möglich sein könnten. Marie aber freut sich auf die Zeit, in der sie ihre Oma wieder ganz einfach in den Arm nehmen kann.

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