Kolumne Denkanstoss Eine Lektion in Demut

Mönchengladbach · Manchmal erkennen wir den Wert einer Sache erst, wenn wir sie nicht haben. Am deutlichsten ist das bei der Gesundheit, meint unser Gastautor.

 Abstand halten ist derzeit nötig, aber ganz alleine macht das Leben auf Dauer keinen Sinn.

Abstand halten ist derzeit nötig, aber ganz alleine macht das Leben auf Dauer keinen Sinn.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Das Leben fühlt sich gerade seltsam an. Was ich noch vor Kurzem für unmöglich gehalten hätte, ist Realität: Schulen, Theater, Stadien geschlossen, Konzerte und Gottesdienste abgesagt. Ich komme kaum noch mit. Nichts lässt sich mehr sicher planen. Keiner weiß, was morgen gelten wird. So mühsam das ist, kann dies aber vielleicht zugleich eine Lektion in Demut werden. Wir meinen ja all zu oft, alle Dinge planen zu können und im Griff zu haben, aber das stimmt eigentlich zu keiner Zeit. Niemand verfügt über sein Leben und seine Zeit. Morgens aufzuwachen ist bereits ein Geschenk.

Und es ist ja schon eine besondere Ironie des Lebens, dass der Individualismus unserer Gesellschaft, der bei zu vielen bereits in Egoismus übergegangen war, nun durch die angeordnete „soziale Distanz“ ad absurdum geführt wird. Isolation ist jetzt dringend nötig zum Schutz vor Ansteckung, aber ganz allein macht das Leben auf Dauer keinen Sinn. Die erfreulichen Hilfsangebote in der Nachbarschaft und das Musizieren nicht nur auf den Balkons in Italien zeigen das deutlich an.

Nun gehört es zu unseren Lebenserfahrungen, dass wir manchmal den Wert einer Sache erst bemerken, wenn wir sie nicht haben. Am deutlichsten ist das bei der Gesundheit: Erst wenn wir krank sind, merken wir wirklich, wie wichtig die Gesundheit ist. Wenn wir so auf die Corona-Krise schauen, dann können wir uns doch vornehmen, es demnächst besser zu machen, wenn wir wieder alles machen können: jeden Tag als Geschenk betrachten, achtsamer leben, die Schule wieder mehr schätzen, lokale Händler unterstützen, mit den Nachbarn in Kontakt bleiben, gemeinsam ins Theater gehen und die Themen des Lebens auf der Bühne bedenken, im Stadion spüren, dass es um die Freude am Fußball gehen muss  und nicht ums Geld gehen darf. Und miteinander Musik machen oder anhören und in den Kirchen zusammen Gottesdienst feiern, um von dem Trost und der Hoffnung zu hören, die wir uns nicht selber sagen können und die unsere Möglichkeiten übersteigen.

Bis dahin müssen wir uns behelfen: mit Anrufen, mit Erinnerungen an erfolgreiche Heimspiele der Borussia, mit gestreamter Musik aus leeren Konzertsälen, mit unseren „Lebensworten“ als neuen geistlichen Impulsen und Orgelspiel aus der Hauptkirche auf Facebook und Instagram und dem täglichen Glockenläuten um 19.30 Uhr als ökumenischem Zeichen der Verbundenheit und Einladung zum Gebet.

Vielleicht sind die Einschränkungen, die wir erleben, aber auch eine Übung für den Umgang mit der Krise, die, wenn wir ehrlich sind, noch größer sein wird als Corona. Die Klimakrise wird uns auch vieles abverlangen. In Venedig ist das Wasser ohne Touristen klarer geworden, die Flugzeuge am Boden sind wirtschaftlich schwer zu verkraften, aber der Umwelt tut das sehr gut.

Ich wünsche Ihnen Gottes Segen für Geduld und Gelassenheit in der nächsten Zeit und die Hoffnung, die der kleine Francesco in Italien auf ein Blatt gemalt hat: ein großer Regenbogen und noch etwas ungelenke Buchstaben: tutto andra bene – alles wird gut! Gott behüte Sie!

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