Kultur und Kirche in Mönchengladbach Kirchenstille für die stillgelegte Kultur

Mönchengladbach · Mit Aktionen in der Hauptkirche in Rheydt und in der Citykirche zeigten sich die evangelische und katholische Kirche in Gladbach solidarisch mit den Kulturschaffenden.

 Schweigen als Solidaritätsbekundung. Die Markt-Musik in der Citykirche um 12 Uhr fand an diesem Samstag lautlos statt.

Schweigen als Solidaritätsbekundung. Die Markt-Musik in der Citykirche um 12 Uhr fand an diesem Samstag lautlos statt.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Der Programmzettel der Marktmusik zur Mittagszeit in der Citykirche trägt an diesem Samstag den Titel „Ohne Kunst & Kultur wird’s still“. Darunter gähnende Leere. Weil Konzerte momentan verboten sind, aber Gottesdienste erlaubt, trifft man sich diesmal zur gewohnten Zeit zu einer Schweige-Andacht. Die Initiatoren wollen Solidarität mit den Künstlern zeigen, die in existenzieller Not sind.

Fast reglos sitzen vier Menschen auf der Bühne und schweigen, ihre Gesichter hinter Masken halb versteckt. Der Pianist Thomas Blomenkamp mit gesenktem Kopf, die Sängerin Dorothee Wohlgemuth in sich gekehrt in roter Stola mit gefalteten Händen. Mihkel Kütson, Chef der Niederrheinischen Symphoniker, leicht zusammengesunken, die Hände flach auf den Oberschenkeln. Musikschulchef Christian Malescov sitzt aufrecht, er wirkt wie ein gespannter Flitzebogen. Sein Blick wandert durch den Raum, während die anderen ins Leere schauen.

 Auf die existenzielle Not der Künstler wollte auch Kantor Udo Witt in der Hauptkirche in Rheydt aufmerksam machen.

Auf die existenzielle Not der Künstler wollte auch Kantor Udo Witt in der Hauptkirche in Rheydt aufmerksam machen.

Foto: Ilgner,Detlef (ilg)/Ilgner Detlef (ilg)

Die maskierten Zuschauer sitzen vereinzelt auf Stühlen im Kirchenraum. Die vier scheinen gelassen damit zu sein, angestarrt zu werden. An den Blick des Publikums sind sie gewöhnt. Und vielleicht auch, weil das hier kein Nichtstun ist: Die Musik und das gemeinsame Anliegen sind sehr präsent. Das Dauergeräusch der Lüftung rückt ins Bewusstsein. Draußen fährt ein Bus vorbei, Kinderstimmen kommen näher, eine Frau und ihr kleiner Sohn schauen durch die Kirchentür herein, verschwinden wieder. Ein Reißverschluss ratscht. Ist es jemandem zu kalt? Ein älterer Mann steht auf und geht.

Christoph Simonsen, der Pfarrer der Citykirche, hat zu Beginn der Andacht einige Worte zu der Aktion gesagt, die an diesem Tag fast zeitgleich in der Evangelischen Hauptkirche Rheydt abläuft – organisiert von Kirchenmusikdirektor Udo Witt und Superintendent Dietrich Denker. „Wir haben in den letzten Monaten mit höchster Verantwortung dazu beigetragen, dass in Konzerten kein Infektionsrisiko besteht“, sagt Simonsen. „Das wird nicht berücksichtigt.“ Er sei dankbar, dass Gottesdienste erlaubt sind. „Aber Religion und Kunst lassen sich nicht trennen. Wir bleiben beieinander, auch wenn uns Stille auferlegt wird.“

Nach 20 Minuten beendet Simonsen das Schweigen. Mihkel Kütson erzählt danach: Draußen habe er die Geräusche des Wochenmarktes gehört und über den Titel „Markt-Musik“ nachgedacht: „Der Markt ist erlaubt, aber die Musik verboten, so wie im ganzen Land: Wirtschaft ja, Kultur nein.“ Christian Malescov sagt, er habe viel an junge Künstler gedacht. „Sie haben viele tausend Stunden in ihre Ausbildung investiert. Sie wollen losfliegen, aber sie fallen auf die Nase.“ Für ihn gehe es nicht um Protest, sondern um Solidarität mit den Leidtragenden.

Um ihnen zu helfen, werden Musiker in den nächsten Wochen verstärkt in Gottesdiensten eingesetzt. Klaus Paulsen wird jeden Samstag um 12 Uhr schweigende Musiker auftreten lassen – mit Honorar,  „und zwar so lange, bis wir wieder Musik machen dürfen“.

Eine Besucherin  hat die Schweige-Andacht einsam oben von der Orgel-Empore verfolgt. „Ich habe einen Bekannten, der einen Bekannten mit Corona hat,“ erklärt sie ihre Vorsicht.  „Aber mir war wichtig, dabei zu sein.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort