Gesundheit in Krefeld Warum Shopping Schlaganfall vorbeugt

Krefeld · Eine neue Studie zeigt: Schon moderate Bewegung  senkt das Risiko – besonders für die, die bisher Sportmuffel waren. Die Mediziner sorgen sich um Corona-bedingte Spätfolgen von Kindern, die eine falsche Normalität gelernt haben.

 „Bewegung senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 40 Prozent“, sagt Professor Thomas Haarmeier.

„Bewegung senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 40 Prozent“, sagt Professor Thomas Haarmeier.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Es ist eine der motivierendsten Nachrichten aus der Medizin: Ausgiebiges Shoppen darf als Prävention gegen Schlaganfall und Vorhofflimmern gelten. Vorausgesetzt man geht zu Fuß und in raschem Tempo. Pünktlich zum bundesweiten „Tag gegen den Schlaganfall“ hat die Weltgesundheitsorganisation WHO eine aktuelle Studie veröffentlicht, die den Wert von Bewegung in der Vorsorge neu bemisst. Wer sich mindestens 150 Minuten pro Woche bewegt, der kann sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 40 Prozent senken.

„Man sollte Puls und Atmung über den Ruhemodus hinaus beschleunigen und leicht ins Schwitzen geraten“, sagt Professor Thomas Haarmeier. Er ist Ärztlicher Direktor und seit acht Jahren Chefarzt der Klinik für Neurologie mit angeschlossener überregionaler Stroke Unit am Helios Klinikum Krefeld, wo jährlich über 1000 Menschen mit Schlaganfall behandelt werden.

Dass Bewegung wichtig für körperliche und geistige Gesundheit ist, ist keine neue Erkenntnis. Das Überraschende an der jetzt publizierten Studie ist die Schlussfolgerung, dass es nicht um große sportliche Anstrengung geht, sondern dass auch „moderate Bewegung“ Wirkung zeigt. Und dass besonders bisherige Sportmuffel profitieren, wenn sie sich auf die Beine machen. Wer beim Gassigehen mit dem Hund das Tempo anzieht, beim  Shopping Strecke macht oder stramm Spazieren geht, beim Hausputz oder bei der Gartenarbeit schwitzt, tut seinem Körper Gutes.

„Die relative Risikoreduktion für einen ersten Schlaganfall durch Bewegung allein liegt bei 20 bis 40 Prozent. Mit blutverdünnenden Medikamenten wie ASS ist der Vorbeugungseffekt nach einem Schlaganfall bei 20 bis 30 Prozent“, so Haarmeier.

 Die UK Biobank liefert die Daten der Langzeitstudie. Biobanken sind große Datensammlungen, in denen Körperstoffe, wie Blut, Speichel, Urin et cetera mit Daten über Geschlecht, Alter, Krankengeschichten und Lebensumstände abgeglichen und in Verbindung gesetzt werden können. Die britische Biobank ist mit 15 Millionen Untersuchungsmustern von 500.000 Menschen ihres Zeichens die weltweit größte Biobank. In einer Langzeitstudie hat sie knapp 100.000 Menschen mit Blick auf die Bewegung betrachtet. Das Ergebnis: Schon ein bisschen Bewegung hilft, und wer vorher ganz unsportlich war, profitiert sogar am meisten.

„Wichtig ist es, Bewegung langsam anzupassen und die Belastung aufzubauen“, sagt Haarmeier. „Schwimmen, Radfahren, Laufen sind optimal. Es kommt auf die Regelmäßigkeit an, nicht auf die Höchstbelastung. Wir wissen, dass neben hohem Blutdruck, hohen Cholesterin- und Zuckerwerten, Übergewicht, Rauchen und genetischer Veranlagung der Bewegungsmangel ein weiterer entscheidender Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist.“ Deshalb steht der deutschlandweite Tag gegen den Schlaganfall am 10. Mai unter dem Motto „Ein bisschen was geht immer! Bewegung im Alltag wirkt Wunder“.

 Bei etwa 20 Prozent der Schlaganfälle ist eine Hirnblutung der Auslöser (etwa bei hohem Blutdruck, einem Unfall oder einem Aneurysma). Die restlichen 80 Prozent sind Infarkte im Gehirn – ausgelöst durch Gefäßverschlüsse. Mit gesunder Lebensweise lässt sich das Risiko reduzieren.  Die Faustregel heißt: Je älter der Mensch, desto höher die Gefahr. Bei etwa 55 Jahren liegt die kritische Grenze. „Statistisch verdoppelt sich das Risiko mit jedem Jahrzehnt neu. Das heißt: Bei einem 85-Jährigen ist das Risiko um das 16-fache erhöht. Männer sind bis ins hohe Erwachsenenalter häufiger betroffen. Ab etwa 80 Jahren gleicht sich die Zahl der Männer und der Frauen an“, erklärt Haarmeier.

Die Pandemie hat viele Menschen zwei Jahre lang auf die Couch verbannt, Sportvereine und Fitnessstudios waren geschlossen. „Wer vorher einen gesunden Lebensstil hatte, wird daran wieder anknüpfen. Da  wird diese Zeit keine deutlichen Folgen haben“, meint der Neurologe. Sorgen machen ihm nicht die Erwachsenen, sondern die Kinder und Jugendlichen. „Der Lockdown hat bei ihnen die Weichenstellung verändert. Sie haben mitunter eine falsche Normalität gelernt: Vor dem Computer sitzen, kaum Freunde treffen, Snacks, sich nicht draußen zu bewegen. Die Sorge von uns Medizinern ist: Was macht der Lockdown mit jungen Menschen.“

Akut gebe es in den Kliniken keine steigenden Zahlen von jungen Leuten mit Schlaganfall. Aber es könnten Langzeitfolgen drohen.  Wenn im Gehirn ein Blutgefäß durch ein Gerinnsel verstopft wird, wird das Gehirngewebe nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr mit Sauerstoff versorgt. Deshalb sterben Zellen ab. Je mehr, desto größer ist der Schaden. Deshalb ist eine schnelle Behandlung eines Schlaganfalls so wichtig. Auf der Stroke Unit, der auf Schlaganfall spezialisierten Station, werden Gerinnsel je nach Größe medikamentös aufgelöst oder durch eine Katheterbehandlung  entfernt. „Sollten trotz der Akutbehandlung Funktionen ausfallen, können diese im Verlauf in Teilen von anderen Regionen übernommen werden“, sagt Haarmeier.  Störungen des Sprechens, des Laufens oder des Gleichgewichts etwa können, wenn die Grundkraft erhalten geblieben ist, wieder aktiviert werden. „Diese Kompensation wird durch spezifisches Training in der Rehabilitation gefördert. Wie weit dies gelingt, hängt unter anderem davon ab, wie exklusiv die geschädigte Region für die ausgefallene Funktion notwendig ist.“

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